8.3/10

Kritik: We Are Who We Are – Staffel 1

TEENAGE WASTELAND

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Genres: Coming-Of-Age, Drama, Startdatum: 07.03.2021

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Der malerische, italienische Sommer, eine Gruppe Teenager auf der Suche nach der eigenen Identität und Strippenzieher ist Luca Guadagnino. Die Puzzleteile aus denen sich ‘We Are Who We Are’ zusammensetzt, fühlen sich bekannt an. Hat die Drama Serie ihre Existenzberechtigung, oder ist sie kaum mehr als ein lauwarmer Aufguss Guadagnino’s vergangener Meisterwerke?

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#ILikeToMoveIt #Mindfuck #Klassikernerd

Darum geht’s

Der 14-jährige Fraser (Jack Dylan Grazer) ist auf der Suche. Nach wem oder was genau er sucht, kann er jedoch nicht wirklich greifen. Klar ist nur: Es soll etwas bedeuten. Als seine beiden Mütter versetzt werden, um führende Positionen innerhalb einer italienischen Militärbasis zu übernehmen, wird Fraser plötzlich aus seiner Heimatstadt New York herausgerissen und muss sich schlagartig in der ungewohnten Umgebung eines fremden Landes zurechtfinden. Keine leichte Aufgabe für den extravaganten Jungen mit gefärbten Haaren und bunten Fingernägeln. Dann lernt er Caitlin (Jordan Kristine Seamón) kennen, die viel lieber Harper heißen würde, und sich nicht nur von den Zwängen der Militärbasis, sondern auch von ihrem Geschlecht eingesperrt fühlt. Das Verständnis für die Suche des jeweils anderen führt schnell zu einer tiefen Freundschaft zwischen den beiden Teenagern, und so machen sich der Junge, der vielleicht auf Jungs steht und derjenige, der im Körper eines Mädchens geboren wurde, gemeinsam auf die Suche.

Wir sind, wer wir sind

Welche Begriffe und Themen kommen uns in den Kopf, wenn wir an unsere Teenagerzeit denken? Unsicherheit, Verwirrung, der Drang nach Selbstständigkeit? Oder die Suche nach dem eigenen Ich? “Wir sind, wer wir sind” sagt uns der vieldeutige Titel der Serie, doch herauszufinden, wie dieses eigene Sein tatsächlich aussieht, ist oft schwerer, als uns Filme wie The Kissing Booth oder Sierra Burgess is a Loser weis machen wollen. We Are Who We Are ist in vieler Hinsicht ein absoluter Gegenentwurf zu der klischeebehafteten Netflix-RomCom-Massenware. Denn statt zum x-ten Mal haufenweise oberflächliche Teenager-Abziehbilder durch austauschbare Highschool-Flure zu scheuchen, stellt Guadagnino die unverfälschten und nicht selten unschönen Gefühlen seiner jungen Protagonisten dar.

“Nach all diesen Jahren weiß ich immer noch nicht, ob ich dich hasse oder nicht.”

Fraser zu seiner Mutter in We Are Who We Are

So lernen wir Fraser direkt in der ersten Folge als fluchenden, respektlosen Teenager kennen, der sich keiner Regel beugen will, nachts allein durch die Straßen zieht, sich mit billigem Wein aus Tetrapacks die Kante gibt und nicht mal davor zurückschreckt, der eigenen Mutter ins Gesicht zu schlagen. Auch in der Figurenzeichnung der anderen Bewohner der Militärbasis scheut die Serie nicht vor Themen wie Homophobie oder heimlichen Affären zurück.

Fraser (Jack Dylan Grazer) schreit, trinkt und ist streitlustig. Auf den ersten Blick nicht der Sympathieträger, wie er im Buche steht.

Fraser, Protagonist der Serie am italienischen Strand

Anfangs wirkt es, als wäre We Are Who We Are überhaupt nicht daran interessiert, uns näher an die Charaktere heranzuführen und ich ertappte mich wiederholt bei der Frage, warum mich diese fremden Figuren überhaupt interessieren sollten.

Wimmelbilder der Identität

Doch Schritt für Schritt lernen wir mehr über Fraser, Caitlin und ihr Umfeld und wir beginnen zu verstehen, dass es genau um eben jene emotionale Verwirrung und Zerrissenheit der Figuren geht. Dabei ist dieses Umfeld fast ebenso wichtig, wie die beiden Teenager selbst. In vielen kleinen Handlungssträngen erzählt die Serie berührende die Geschichten einer Vielzahl an Charakteren, die in stillen Momenten von Einsamkeit, Freiheitsdrang, sexueller und religiöser Identität erzählen. Eine der beeindruckendsten Geschichten gehört dabei Frasers Eltern, die sich als lesbisches Ehepaar mit Diskriminierung und Themen wie eigenen Kindern und Erziehungsrollen konfrontiert sehen.

Statt We Are Who We Are als stringente Handlung zu betrachten, sollte man die Serie viel mehr mit einem, sich stehts wandelnden, Mosaik vergleichen, welches sich aus den Einzelschicksalen verschiedenster Menschen zusammensetzt, die sich am Setting der Militärbasis reiben, und dadurch auf die Suche nach sich selbst begeben. Besonders faszinierend dabei ist, dass Guadagnino nicht den Anspruch hat, für jeden dieser Konflikte ein befriedigendes Ende zu finden. Viel mehr begleiten wir die Figuren für ein paar Schritte auf ihrem Lebensweg und können nur erahnen, wie sich dieser weiterentwickeln wird. Eine derartig hautnahe und meisterhaft beobachtete Authentizität lässt sich nur sehr selten im Kino finden.

“Ich war eine Menge Dinge, doch jetzt weiß ich nicht mehr wer ich bin.”

Jenny in We Are Who We Are

Die Suche nach uns selbst – eine ziellose Irrfahrt

Diese einzigartige Darstellung des jugendlichen treiben Lassens ist das absolute Alleinstellungsmerkmal von We Are Who We Are. Eine Menschlichkeit, die der Serie nicht selten zu atemberaubender Qualität verhilft, jedoch auch Schwächen mit sich zieht. So ist die Serie nur denjenigen Zuschauern zu empfehlen, die sich auf ein langsames, fast schon meditatives Tempo einlassen können. Wer nach einer klar strukturieren Handlung mit festen Identifikationsfiguren sucht, wird sich bereits nach der ersten Folge verloren fühlen, was nicht nur an der entschleunigten Handlung, sondern auch an Guadagninos langen und ruhigen Einstellungen liegt.

In ruhigen und langen Einstellungen erzählt Guadagnino von der Melancholie der Teenager und der Schönheit Italiens.

Jack Dylan Grazer als Fraser

Trotz der Tatsache, dass diese Eigenheiten der Serie perfekt für mich funktionierten, ist es schwer abzustreiten, dass die ersten Folgen nicht ganz ohne Längen auskommen. We Are Who We Are ist eine Serie, die unglaublich viel erzählt, indem sie so wenig erzählt. Die Spannung liegt in den unausgesprochenen Wörtern, dem schnellen Wegdrehen nach einer innigen Umarmung, den langen intensiven Blickkontakten oder dem einsamen Spazieren durch die italienische Sommernacht. Es liegt an uns, uns auf die Erzählweise der Serie einzulassen, die Zeichen zu deuten und die Schönheit in diesen Momenten zu erkennen.

Zwischen knalligen Farben und ruhigen Blicken

Allerdings würden all diese Eigenschaften sofort in sich zusammenstürzen, wenn die zwei fantastischen Hauptdarsteller und ihre berührenden Figuren, die das Herz der Serie darstellen, nicht wären. Jack Dylan Grazer, der sich durch Es und Shazam schon einen großen Namen als Nachwuchsschauspieler machte, setzt den von Konflikten und Unsicherheit gezeichneten Fraser in jedem Moment grandios um. So wechselt er mühelos zwischen dem jähzornigen Fraser, der sich ständig mit seiner Mutter streitet und dem unsicheren Teenager, der sich in der nächsten Szene tränenüberströmt in ihre Arme fallen lässt. Grazer gelingt es den schmalen Grat zwischen Erwachsen sein und Kindheit sofort greifbar zu machen und die Balance auf dieser Grenze mit allen ihren Facetten zu halten.

Der Star der Serie ist jedoch Jordan Christine Seamón als Harper. Eine Figur, die weitaus weniger extravagant und auffällig geschrieben ist als Fraser, aber in ihrer Stille eine umso größere Wirkung entfaltet. Seamon verleiht der Figur durch ihr reduziertes Schauspiel unfassbar viel Herz. So fühlt sich Harpers Konflikt zu jeder Sekunde intensiv und erlebbar an, was ihren Weg der inneren Selbstfindung schnell zum emotionalen Kern der Serie werden lässt.

Harper (Jordan Kristine Seamón), Fraser (Jack Dylan Grazer) und ihr gemeinsamer Weg der Selbstfindung sind Herz und Seele der Serie.

Fraser und Harper im Zug

Schlussendlich stehen die beiden Teenager für zwei Menschen, die noch nicht genau wissen, wer sie sind oder sein wollen. Luca Guadagnino beweist erneut, dass sich kaum ein anderer Regisseur so gut in die Welt Heranwachsender hereinfühlen kann, und räumt mit dem Klischee auf, dass Queer sein nicht gleich für Labels wie rein Schwul oder Lesbisch steht, sondern sich die verschiedensten Menschen in den unzähligen Zwischentönen der Identität wiederfinden können. Ein wichtiges Thema, das leider noch viel zu wenig Raum im Kino- und Serien Mainstream findet.

Fazit

8.3/10
Stark
Community-Rating: (3 Votes)
Handlung 6.5/10
Schauspiel 9/10
Emotionen 8.5/10
Tiefgang 9.5/10
Visuelle Umsetzung 8/10
Details:
Showrunner: Luca Guadagnino,
FSK: 0 Epiosden: 8
Besetzung: Jack Dylan Grazer, Jordan Kristine Seamón,

Teenager-Leben unter dem Brennglas

Ob uns We Are Who We Are gefällt, ist im Endeffekt eine Frage der Geduld, die wir der Serie gegenüber aufbringen können. Wer die Bereitschaft mitbringt, sich auf Geschichten einzulassen, die statt nach großen Dramen auf der Suche nach kleinen Gefühlen sind, den lädt die Serie dazu ein, sich gemeinsam mit ihr zwischen atemberaubender Figurentiefe und lebensechten Auseinandersetzungen mit der Vielschichtigkeit unserer Identität treiben zu lassen. Besonders beeindruckend ist dabei der Mut, mit dem Guadagnino seine Vielzahl an Charakteren gezielt der plumpen Einordnung in Schubladen entzieht, und die Sehgewohnheiten der breiten Masse dadurch konstant aufbricht. Es braucht Zeit und Geduld, um diese Feinheiten der Serie unter der anfänglichen Kälte der Militärstation und ihren Bewohnern entdecken zu können, doch wem das gelingt, der erlebt mit den späteren Folgen von We Are Who We Are die komplexesten Coming-Of-Age Meisterwerke seit langer Zeit.

Artikel vom 21. April 2021

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