Macht korrumpiert, wieder einmal
Dennoch: unterm Strich geht es auch hier um Macht. Robert Taro will zwar das Beste für seine Stadt, doch kann er nicht glauben, dass es, wenn andere an der Macht wären, der Mittelmeer-Metropole genauso gut gehen würde, wie unter seiner Regentschaft. Von der Macht lassen, kann er nicht.
Der Emporkömmling Barrès will um jeden Preis an die Macht. Auch Sex ist für ihn Macht. Und den nimmt er sich nur allzu oft. Oder gibt ihn; als Bezahlung für Gefälligkeiten. Ein Gewissen scheint der Getriebene nicht zu haben.
Besonders tragisch ist jedoch die Figur Julia Taro. Die sympathische und liebenswürdige Tochter des Bürgermeisters ist an Macht gewohnt. Für sie ist Macht selbstverständlich. Ohne böse Absicht, setzt sie ihren Charme bei Männern ein. Das sie diese damit in ihre Macht bringt, und letzen Endes ausnützt, ist ihr nicht bewusst. Auf gewisse Weise benutzt sie die Jungs der Vorstadt genauso wie auch Barrès.
Mittelmeer-Atmosphäre zum Frösteln
Was bei einer Serie über die malerische Hafenstadt nicht fehlen darf, ist der Fußballclub Olympic Marseille. Tatsächlich beginnt und endet die Serie sogar im Stadion, das mit seinen leidenschaftlichen Sprechchören der Fans ein grandiosen Rahmen für das Polit-Drama gibt. Hier lässt sich am besten greifen, warum sich die Serie manchmal wie ein antikes, leicht pathetisches Drama anfühlt: Wenn die lokal-politische Führungsriege, also Taro und Barrès, dem Fußballspiel beiwohnen, wirkt das so, als ob Julius Caesar und der Vatermörder Brutus einem Kampf in einem Amphitheater einen Besuch abstatten.
In der Tat ist die Serie voller Pathos. Jedoch in genau dem richtigen Maß. Das dickste Plus der ersten Staffel ist die Atmosphäre. Sie ist schwerfällig und nachdenklich. Es fühlt sich an, als ob die Serie an einem heißen Sommertag im Schatten einer Palme läge und die Ereignisse der Vergangenheit Revue passieren lasse. Das passt nicht nur zur Mittelmeer-Ambiente, sondern auch zum Genre. Faszinierend ist, dass trotz einer Vielzahl bedächtiger Kameraflüge, stummer Zeitlupen, innerer Monologe und einem langsamen Erzähltempo die erste Staffel nicht langweilt. Stattdessen ermöglicht uns die Serie – wie es nur wenige Filme und Serien schaffen – genau zu verfolgen, was die Figuren denken und fühlen.
Unterstützt wird dieses einzigartige Art zu Erzählen durch einen wundervoll-bedachten Schnitt und einen großartigen Score, der schwer und träge durch die Serie wabert und an heiße Sommerluft erinnert, die sich zwischen den Gassen einer Mittelmeer-Stadt verfangen hat.
Die “Brennpunktviertel” liegen in Marseille innerhalb der Stadt, sind also keine “Banlieue”
Hi, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben nochmal recherchiert und du hast Recht: Bei dem besagten Viertel handelt es sich um “Felix Pyat”, das nur unweit vom Hafen und vom Zentrum entfernt ist. Also keine “Banlieue” am Stadtrand. Ich ändere es im Text. Vielen Dank und Grüße von Nono