Kritik: Ferry
DER WILDE, WILDE WESTEN…
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Die Amsterdamer Unterwelt ist in Aufruhr: bei einem Raubüberfall kommt der Sohn eines Gangsterbosses ums Leben. Die Spur der Täter führt in den ländlichen Süden und Ferry (Frank Lammers), die rechte Hand des Boss und Mann fürs Grobe, macht sich auf die Suche. Auf seinem Rachefeldzug in der alten Heimat findet er nicht nur die Mörder, sondern auch die Liebe in Form von Daniëlle (Elise Schaap). Ferry muss undercover seinen Auftrag durchziehen, ohne die nichtsahnende Daniëlle in Gefahr zu bringen.
Machen wir uns nichts vor, die Niederlande sind nicht nur für Windmühlen und Tulpen bekannt, nein, es sind andere Dienstleistungen und Gewächse, die jedes Jahr Millionen von Touristen nach Amsterdam ziehen. Doch die Party-Industrie braucht ein stabiles, wenn auch illegales, Fundament. Ferry lebt vom Wechselspiel der niederländischen Klischees mit Bierchen auf dem Campingplatz und den Machenschaften des Drogenkartells. Im Gegensatz zu jüngeren, deutschen Gangster-Produktionen wie Four Blocks oder Asphaltgorillas vermeidet der Film glücklicherweise, den Stil von Hollywoods Unterwelt-Epen zu kopieren. Besser so, denn wer versucht, sich mit dem unwiderstehlichen Gangster-Glamour eines Tony Montana zu messen, hat am Ende die kriminelle Aura von Sylvie Meis beim Falschparken.
Ähnlich wie bei La Isla Minima (und das ebenfalls tolle, deutsche Remake Freies Land) oder Les Misérables ist der aktuelle europäische Film am stärksten, wenn er sich auf die heimischen Konflikte fokussiert und effektiv mit diesen arbeitet, anstatt US-Thriller vor einem europäischen Hintergrund zu kopieren.
Auf dieser Bühne der Gegensätze tummeln sich einige sehr lebendige Figuren. Vor allem Ferry selbst ist ein sympathischer Antiheld, er erinnert an Joe aus A Beautiful Day: ein in die Jahre gekommener, seelisch verwundeter Mann mit Bierbauch und einer Vorliebe für kurzen Prozess. Doch Ferry besitzt den sprichwörtlichen weichen Kern unter der harten Schale und auch ansonsten ist er ein origineller Hitman, zum Teil vermutlich ungewollt:
Der Film nimmt unglaublich schnell Fahrt auf, nach zehn Minuten sind wir bereits mittendrin und kennen Setting, Figuren und den grundlegenden Konflikt. Hätte sich das Autor:innenteam etwas mehr Humor zugetraut, hätte ein wahrer Guy Ritchie-Film entstehen können. Doch leider verliert Ferry die Fährte zunächst und gerät ins Stocken, der Film braucht einige Zeit um seinen Rhythmus zu finden. Ferrys Amateurhaftigkeit benötigt mehrere Kickstarts aus dem Script, den Zuschauer:innen verdirbt es aber den Spaß an der Detektivgeschichte, wenn nicht Ferrys Spürsinn zum Mörder führt, sondern eine Nebenfigur, die den Gesuchten rein zufällig auf einem Foto erkennt.
Nach einigen Startschwierigkeiten erreicht der Plot jedoch Abhebegeschwindigkeit und landet bis zum Ende nicht mehr, völlig unerwartet reißen die letzten zwanzig Minuten sogar noch einmal das Ruder herum und man ist begeistert, wie das Drehbuch mühelos Fronten und Machtverhältnisse verschiebt und einen neuen Feind auf die Bühne bringt – chapeau! Auch die Liebesgeschichte ist wunderbar inszeniert, Ferry und Daniëlle sind emotional nahbar und ihr vorläufiger Abschied wird zum spürbar emotionalen Höhepunkt. Im Junggesellinnenabschieds-Outfit als Nonne (ohne Witz) darf Daniëlle dann Ferrys Hoffnung auf Absolution wecken, bevor sie Arm in Arm dem Happy End entgegengehen. Nicht etwa Richtung Horizont, sondern zurück auf den Campingplatz – mit Kuchen für die Nachbarn unterm Arm.
Ferry bietet wenig Neues, setzt das Altbekannte aber kurzweilig in Szene, die Action ist begrenzt, dafür realistisch. Der Thriller startet rasant und läuft trotz kurzer Durststrecke zuverlässig, sobald er seine Betriebstemperatur erreicht hat. Der liebenswerte Antiheld und seine Dorfschönheit erleben eine Romanze mit ernsthaften Emotionen ohne Kitsch, dafür aber authentischer Sexyness. Es ist beeindruckend, wie der Film liebevoll die niederländische Lebenswelt in Szene setzt, ohne sich ironisch von ihr distanzieren zu müssen, gleichzeitig aber auch dem harten Realismus von Drogensyndikaten und sozial abgehängten Raum gibt. Der europäische Thriller ist auf einem guten Weg.
Artikel vom 19. Mai 2021
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