Kritik: Contra
SCHEMA F
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„Sprachliche Entgleisung“ wäre noch nett formuliert für das, was Professor Pohl (Christoph Maria Herbst) der Jura-Studierenden Naima (Nilam Farooq) in der Vorlesung an den Kopf wirft. Um sich vor der Suspendierung zu retten, erklärt er sich bereit, Naima für den anstehenden Debattier-Wettbewerb fit zu machen. Die Erstsemesterin aus prekären Verhältnissen begibt sich unter die Fuchtel des arroganten Rhetorikers und lernt, Worte als Waffe, Verteidigung und Werkzeug zu benutzen. Abseits vom Hörsaal warten jedoch harte Fakten, denen allein mit Worten nicht beizukommen ist.
Frankreich, eine der größten Kinokulturen überhaupt, liefert Hits am Fließband. Bei unserem Nachbar ist fast jedes dritte gekaufte Kinoticket für eine heimische Produktion – in Deutschland unvorstellbar. Eine Art von Film erfreut sich dabei besonders großer Beliebtheit und wird rege exportiert: Komödien über das Aufeinandertreffen sozialer Gruppen. Mehrheitsgesellschaft, religiöse Communities und Randgruppen treffen aufeinander und feuern Salven an Vorurteilen und politisch inkorrekten Witzen ab. Wir dürfen hinter vorgehaltener Hand lachen, denn spätestens ab der Hälfte nimmt der Film die Ausfahrt Richtung kathartischem Happy End, in dem wir erkennen, dass wir doch alle irgendwie unsere Macken und Vorurteile haben. Dass wir doch alle gleich sind und Freunde werden können. Migranten, Rollstuhlfahrer, Katholiken, Muslime, Juden, Roma, kauzige Köche, Gras vertickende Omas, Onlineaffine Opas… Die Grande Nation lacht über sich und ihre Eigenbrötlerei und liegt sich anschließend in den Armen. Denkt man nach dem Abspann.
Die Wahrheit ist weniger einfach: edgy Witze über Homosexuelle, Menschen mit Behinderung oder Migrationsgeschichte können befreiend wirken, doch sollte man nicht zu viel Hoffnung in die aufklärerische Wirkung solcher seichten Komödien stecken. Fakt ist nämlich: in der französischen Gesellschaft brodelt es gewaltig – trotz der scheinbaren Leidenschaft, über sich selbst zu lachen. Culture-Clash-Komödien dieser Art erfreuen sich dennoch nach wie vor großer Beliebtheit seit Asterix & Obelix und die nächsten Jahre bringen vermutlich folgende Kinohits nach „Schema F(rankreich)“: Eine „Gelbweste“ und eine Klimaaktivisten trampen ans Meer; ein Stararchitekt wird dazu verdonnert, ein Flüchtlingsheim zu bauen; eine Drag Queen muss einen Hundewettbewerb gewinnen, um das Jugendzentrum im Banlieue vor der Pleite zu bewahren. Magnifique!
Der neueste frankophone Streich ist Le Brio, der jetzt (bzw. bereits 2019) von Sönke Wortmann ins Deutsche übersetzt wurde. Wortmann hatte sich bereits mit der Übertragung von Le Prénom/Der Vorname als Musterschüler der Französisch-AG hervorgetan, ohnehin ist er einer der Streber der deutschen Filmindustrie. Ein Musterschüler der stets abliefert, aber trotzdem überraschend wenig in Erinnerung bleibt.
Der gesellschaftliche Ton in den letzten Jahren ist härter geworden, während die Satire gemütlich unterwegs war, wurde sie bereits rechts überholt – wie reagiert man also? In Contra tut man dies einerseits sehr schlau, der Film ist inhaltlich schön nahe am Puls der Zeit: Professor Pohl muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein „alter, weißer Mann“ zu sein, die Dynamik von öffentlicher Aufregung und „Cancel Culture“ wird thematisiert und einige Manifestationen von Alltagsrassismus werden erlebbar gemacht.
Andererseits hängt der Film in seiner Darstellung von Jugendkultur viele Jahre zurück. In einer unangenehmen Mischung aus Fack Ju Göthe (2013) und der Hauptschulversion von Schloß Einstein sehen wir junge Menschen, die ungebildet, aber „Street Smart“ sind; sich nicht ausdrücken können, aber das Herz am rechten Fleck haben; die sich gegenseitig erklären, Debattieren sei „wie Battle-Rap, halt so mit dissen und so“. Dialogschreiber, die denken, Mittzwanziger in Frankfurts sozialen Brennpunkten sprechen so, sitzen vermutlich auch in der Jury für das Jugendwort des Jahres. Voll cringe, Brudi.
Trotz des etwas einengenden Plots spielt Nilam Farooq hervorragend. Die Nervosität, das Herumzappeln, das Verhaspeln, jede Unsicherheit ihrer Figur ist glaubhaft. Eine gute Schauspielerin, die eine schlechte Rednerin spielt – eine nicht zu unterschätzende Leistung. In ihrer Entwicklung zur fortgeschrittenen Rhetorikerin ist sie stets authentisch, es macht Spaß ihr zuzusehen und mit ihr zu lernen. Christoph Maria Herbst fällt die Rolle natürlich sehr einfach, war doch eine ähnliche, selbstüberschätzende, herabschauende Figur seine Paraderolle. Dennoch, er macht es mit Bravour. Die übrigen Figuren sind nicht der Rede wert, Studierende sehen aus wie auf Uni-Werbeflyern, Jura-Studierende im Speziellen sehen aus wie Snobs in Kinderschuhen, der BWL-Justus-haftige Kommilitone von Naima ist so platt, dass es wieder Spaß macht.
Optisch gibt es nichts Spannendes zu entdecken, warum auch, die Geschichte ist derart linear, dass sie ebenso im Theater funktionieren könnte. Und dementsprechend fühlt sich die Filmwelt an, Außenaufnahmen sind immer begrenzt, horizontlos, Innenszenen derart künstlich ausgeleuchtet, dass wir nie das Gefühl haben, uns in der realen Welt zu befinden. Ebenso künstlich und langweilig ist der Soundtrack: die Szenen aus Naimas Welt zwischen Wohnblöcken und S-Bahn sind mit einem vermeintlich hartem, aber doch langweilig-cleanem Straßensound unterlegt; alle emotionalen Szenen werden von Akustikgitarren-Gedudel begleitet, dass auf Spotify wohl unter „Acoustic Indie zum Fummeln“ zu finden ist. Und „emotional“ wird es ab der Hälfte eigentlich in jeder zweiten Szene.
Zusammengehalten wird der Einheitsbrei von der Rahmenhandlung, die sich einem letztlich doch anregendem Thema widmet – der Rhetorik. Wir lernen einiges über sprachliche Stilmittel und Kunstgriffe. Dies sind die interessanten Momente des Films. Auch einige Sideplots können Interesse wecken, sie werden mal mehr, mal weniger ungezwungen erzählt. Dass Naimas Familie in der Klemme sitzt, weil ihr Bruder seinen Job verliert und damit das Aufenthaltsrecht ins Wanken gerät, sind Momente, die aus dem eingeengten Schema ausbrechen und für ein lebhaftes Drama gereicht hätten. Stattdessen sehen wir viel zu häufig die immer gleichen Einstellungen davon, wie sich Filmschaffende das Leben „im Block“ vorstellen. Hoodie auf, Kopfhörer rein, ernst aus dem S-Bahn-Fenster starren.
Es wäre ungerechtfertigt, dem Film vorzuwerfen, er würde die zugrundeliegenden Konflikte wie Alltagsrassismus und sprachliche Feinheiten nicht ernsthaft bearbeiten. Das tut er, soweit das Korsett der Komödie es zulässt. Und wir dürfen dankbar sein, dass es nicht der klassische Underdog-Streifen über aussichtslose Außenseiter:innen ist, die sich im Turnier der Sportart XY beweisen müssen. Nein, Debattier-Wettkämpfe ist wirklich spannend. Dieser Film leider nicht.
Das Vorweg: Remakes sind keine Schande. Und doch fragt man sich immer wieder: warum? Contra fügt der Geschichte wenig Neues hinzu und verausgabt sich in vielen Nebensträngen, ohne sie je zu voller Stärke auszuspielen. Das Schauspiel der Hauptfiguren macht Spaß, alle anderen bleiben blass. Die Lektionen über Sprache und ihre Wirkung sind anregend, doch abseits davon langweilen die üblichen Episoden von Aufsteigern im Gesellschaftsdschungel. Häufig gesehen, viele Male besser. Warum dieses Remake scheinbar trotzdem nötig war? Wir haben Zeit nachzudenken, bis dann die nächste Übersetzung einer französischen Erfolgskomödie herüberschwappt.
Artikel vom 4. November 2021
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