8.7/10

Kritik: Der Rausch

ALKOHOL IST (K)EINE LÖSUNG

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Genres: Drama, Komödie, Startdatum: 22.07.2021

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In Dänemark trinkt die Jugend doppelt so viel Alkohol wie der europäische Durchschnitt. Dennoch hat ‘Der Rausch’ nichts mit einem mahnenden Aufklärungsfilm zu tun – mit einer feuchtfröhlichen Komödie à la ‘Hangover’ allerdings auch nicht. Was will der Oscar-Film von Thomas Vinterberg also sein?

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#PotterUltra #SchwerMetaller #Storyteller

Darum geht’s

Vier Lehrer schlurfen durch ihre Midlife-Crisis, aller Lebensenergie beraubt. Besonders betroffen ist die Schlaftablette von Geschichtslehrer Martin (Mads Mikkelsen, Hannibal, Rogue One: A Star Wars Story). Das ändert sich allerdings schlagartig, als einer der Lehrer eine wissenschaftliche Hypothese vom renommierten Professor Finn Skårderud aufschnappt: dass der Mensch mit einem Defizit von 0,5 Promille Alkohol geboren sei und ein durchgängiger Pegel nicht nur fröhlicher, sondern auch charismatischer, kreativer und selbstbewusster mache.

Die Freunde wagen das Selbstexperiment, doch Regeln müssen sein: Kein Alkoholpegel über 0,5 Promille und kein Drink nach 20 Uhr.

Es steht außer Frage, dass das Experiment gewaltig eskalieren wird. Doch was die Folgen dieser Eskalation sind, sowohl die positiven als auch die negativen, wird wohl die meisten Zuschauer überraschen.

Kurswechsel

Eigentlich wollte der dänische Star-Regisseur Thomas Vinterberg eine Hommage an den Alkoholrausch inszenieren; doch vier Tage vor Drehbeginn starb seine Tochter bei einem Autounfall. Zwar war die Ursache nicht Alkohol, sondern Smartphone am Steuer, doch bedeutete das traumatische Ereignis dennoch einen Kurswechsel für den Film.

Genre-Cocktail

Wäre der Film ein Cocktail, wäre es vermutlich ein Caipirinha: Kühl, süße Note, doch herber Nachgeschmack, ordentlich Wumms dahinter. Und man trinkt ihn langsam. Thomas Vinterberg streckt seinen Film, nicht mit Wasser, sondern mit Laufzeit, vermischt Drama und Comedy, und erfrischt mit seinem skandinavischen, cinematischen Flair.

Berauscht … und glücklich? Mads Mikkelsen aka Martin ist sich nicht sicher.

Mads Mikkelsen in einem Szenenbild für Kritik Der Rausch

Eine inoffizielle Fortsetzung

Cast und Crew sind beinahe identisch wie aus Vinterbergs Filmklassiker Die Jagd aus dem Jahr 2012, in welchem Mads Mikkelsen einen Kindergärtner spielt, der unberechtigt des Kindesmissbrauchs beschuldigt wird.

Obwohl Die Jagd und der Rausch viele Gemeinsamkeiten haben, wie Lebenskrisen aus der Mittelschicht der Gesellschaft, vor allem in Bezug auf die Rolle des Mannes, ist Vinterbergs neuer Film um einiges leichtfüßiger als sein düsterer Bruder. Leichte Kost ist er dennoch nicht. In seinen düsteren Momenten vergeht einem das betrunkene Grinsen, in seinen subtileren Momenten findet man keine eindeutigen Aussagen. Doch diese Ambivalenz ist das Erfolgsrezept von Vinterbergs Filmen.

Vinterberg + Mikkelsen

Vinterberg versteht es, Charaktere rund um Mads Mikkelsen zu schreiben. In den ersten Minuten des Films ist Martin der langweiligste Mensch, den man sich vorstellen kann, jede einzelne Dialogzeile aus seinem Mund ist so ermüdend und enttäuschend, dass man Mikkelsen am liebsten eine Schelle auf seine hohen Wangenknochen geben möchte.

Mit ein bisschen Alkohol in der Teekanne unterrichtet Martin viel charismatischer.

Mads Mikkelsen als Lehrer in einem Szenenbild aus Der Rausch

Die Entwicklung von Martin gehört zu seinen besten Schauspielleistungen überhaupt. Dezent und niemals over-the-top, so, wie man es vom charismatischen Dänen eben kennt, trägt er den Film mühelos über seine Laufzeit hinweg. Außerdem werden wir Zeuge seines trockenen Sinnes für Humor, sowie seiner ehemaligen Karriere als professioneller Balletttänzer.

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Wer in ‘Der Rausch’ am lautesten lacht

Der Rausch wird zwei Parteien gewaltig vor den Kopf stoßen: die Alkohol-Trinkenden, die hinter Der Rausch eine lockere Komödie über das Saufen vermuten, und die Abstinenzler*innen, die einen Zeigefinger erwarten, inklusive einer drastischen Darstellung, in welch Abgründe einen der übermäßige Alkoholkonsum treiben kann.

Beide Parteien werden ihre Lieblingsszenen herauspicken können, und es werden nicht dieselben sein. Spätestens zum Ende des Films wird sowohl das Spießer-Ehepaar in der letzten Reihe als auch die laute Teenager-Gruppe in der Mitte des Saals ziemlich ruhig sein.

Dann dämmert es: Der Film hat keine Moral. Stattdessen ist Der Rausch so neutral wie eine Farbpalette, die sämtliche Nuancen des Alkoholkonsums auf eine Leinwand pinselt, sowohl die hellen als auch die dunklen Farben, und am Ende lässt sich nicht mehr sagen, ob das Bild einen glücklich oder traurig stimmen soll.

Der Rausch verpflichtet sich der Wahrheit, nicht der Propaganda, und auch wir in Deutschland können wohl kaum leugnen, dass Alkohol in unserer Gesellschaft viel stärker positiv als negativ konnotiert ist. Wir können kaum leugnen, dass wir während des Experiments nicht auch kurz darüber nachdenken, ob an Skårderuds Hypothese etwas dran ist und wie wir selbst davon profitieren könnten. Der Rausch schreckt nicht wirklich ab, er verherrlicht den Alkohol aber auch nicht.

Fazit

8.7/10
Sehr gut
Community-Rating:
Handlung 8.5/10
Schauspiel 9/10
Tiefgang 9/10
Humor 8.5/10
Emotionen 8.5/10
Details:
Regisseur: Thomas Vinterberg,
FSK: 12 Filmlänge: 117 Min.
Besetzung: Lars Ranthe, Mads Mikkelsen, Magnus Millang, Thomas Bo Larsen,

‘Der Rausch’ begeistert auch ohne 0,5 Promille

Egal, welches Verhältnis man persönlich zu Alkohol pflegt, der Film bezieht niemals eine klare Stellung und stellt auch klar, dass er das nicht will. Nur auf diese Weise funktioniert Der Rausch als tatsächlich aufklärender Film über Europas beliebtestes Rauschmittel. Trotz kleinerer Längen und dramaturgischer Unebenheiten ist Der Rausch ein faszinierender, unterhaltsamer und tragischer Film, der einen lange nicht mehr loslässt. Vor allem die finale Szene ist eine wunderbare Katharsis, nicht nur für die Charaktere und das Publikum, sondern auch für Thomas Vinterberg und die Mitschüler*innen der verstorbenen Ida Vinterberg, die in dieser Szene gemeinsam mitwirken. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Artikel vom 24. Juli 2021

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