Kritik: Detroit
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Wenn Kathryn Bigelow und Autor Mark Boal einen Film zusammen machen, dann ist Stress vorprogrammiert. Sowohl mit The Hurt Locker (2010) als auch Zero Dark Thirty (2012) traf das Duo den Nerv der Zeit. Beide Politthriller polarisierten mächtig – konnten bei Oscars und Co. aber auch ordentlich abstauben. Mit Detroit legen Bigelow und Boal erneut den Finger in eine besonders hässliche Wunde Amerikas: Die anhaltende Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung.
Detroit, 1967: In den „Schwarzen“-Vierteln der Industriemetropole herrschen prekäre Verhältnisse. Eine Razzia der berüchtigten (und nahezu ausschließlich weißen) Polizei lässt das Pulverfass schließlich hochgehen. Es kommt zu erbarmungslosen Straßenschlachten zwischen Polizei und schwarzen Demonstranten. Im Sog der Gewalt gehen 1400 Gebäude in Flammen auf, werden hunderte Geschäfte geplündert und 43 Menschen – überwiegend schwarze Demonstranten – ums Leben gebracht.
Obwohl es sich bei dem sogenannten „langen, heißen Sommer“ um die schlimmsten Unruhen der jüngeren amerikanischen Geschichte handelt, ist der Konflikt in Vergessenheit geraten.
Detroit holt das Thema aus der Versenkung und konzentriert sich dabei auf das dunkelste Kapitel: den sogenannten Algiers Motel Incident. Als der Streich einiger schwarzer Motel-Gäste die hitzige Polizeistreife des ausgemachten Rassisten Krauss (Will Poulter: The Revenant, Narnia) auf den Plan ruft, wird aus dem quirligen Motel eine Todesfalle.
Detroit gliedert sich in drei Akte. Um Authentizität bemüht handelt der Anfang des Films die historischen Eckdaten ab, vergisst in seinem Eifer aber, das Publikum mitzunehmen. Denn lange Zeit ist nicht klar, wer denn jetzt bitte der Hauptdarsteller sein soll. Als sich die Handlung schließlich einen uneleganten Sprung in den zweiten Akt leistet, landen wir bei Dismukes (John Boyega, Star Wars), einem schwarzen Sicherheitsmann, den wir schon aus den Trailern kennen.
Im Mittelteil des Films outet sich Dismukes jedoch als passiver Beobachter, nicht als die erhoffte Hauptfigur. Stattdessen verharrt der Film bei Larry (Algee Smith) und seinem Sidekick Carl (Jason Mitchell), die zusammen mit Greene (Anthony Mackie: Triple 9), Julie (Hannah Murray: Gilly in Game of Thrones) und anderen Jugendlichen hoffnungslos weißer Polizeigewalt ausgeliefert sind. Trotz einer soliden Backstory bleiben Larry und Carl jedoch weitestgehend fremd.
Während sich der Film nicht so richtig auf einen Protagonisten festlegen will, ist der Antagonist jedoch umso klarer: Krauss, der sadistische und von Rassenhass infizierte Jung-Polizist wird von Will Poulter Oscar-verdächtig gespielt.
Das schockierende ist, dass Poulter seine Rolle nicht als stereotypischen Fanatiker anlegt. Vielmehr wirkt Officer Krauss oft wie ein „pflichtbewusster Beamter“, der davon überzeugt ist, dass sein Handeln im Sinne guter Polizeiarbeit sei. Das heißt nicht, dass er keinen Gefallen an der Folter seiner Opfer findet, sorgt jedoch für eine Vielschichtigkeit, die dem Rassen-Horror-Film Get Out zum Beispiel abgeht.
Was Detroit mit Krauss gelingt, ist dahingegen bemerkenswert: Denn gerade dadurch, dass ein junger Polizist wie Krauss meint, er tue das moralisch Richtige, offenbart der Film den Fehler des ganzen Systems (Polizei, Gesellschaft, etc.): einen scheinheiligen, heruntergekochten Rassismus.
Obwohl Detroit ein historischer Film ist, ist er traurigerweise brandaktuell. Spätestens seit Ferguson tobt in den USA eine Debatte zur Frage, ob die Polizeiorgane der Vereinigten Staaten ein strukturelles Rassismusproblem haben, wie es beispielsweise Recherchen des Guardian nahelegen: Afroamerikaner werden viermal so oft von Beamten erschossen, wie US-Bürger anderer Hautfarbe.
Mit ihrem neusten Film will Bigelow dem traurigen Kapitel eine größere Bühne bieten, stößt dabei jedoch auch auf Kritik. Einige Kritiker bemängeln, dass es einer weißen Filmemacherin nicht gut stehe, ein „schwarzes“ Thema zu verfilmen, andere gehen sogar weiter und unterstellen, dass sich der Film an der rassistischen Gewalt ergötze. Das Schlagwort: Racial torture porn.
Und in der Tat handelt es sich bei Detroit um eine Gradwanderung. Filmisch gesehen ist der Thriller (zumindest der Mittelteil) mit nachhaltiger Spannung versetzt und obendrauf mit schockierenden Gewaltausbrüchen gespickt. Schon in den ersten Szenen spielen sich Szenen (Stichwort: Kind am Fenster) ab, die so unerwartet ausarten, dass der ganze Kinosaal zusammenzuckt. Der Schock und die Wut der Filmfiguren geht ins eigene Fleisch und Blut über.
Andererseits sind die Motel-Szenen des Mittelteils handwerklich unsauber in den Rest der Handlung eingebettet. Denn wie ein Gaffer am Unfallsort verharrt die Handlung bei der ausartenden Polizeigewalt im Algiers Motel. Vor- und Nachspiel werden dahingegen nur zweitrangig behandelt, was den Film etwas aus dem Gleichgewicht bringt.
Artikel vom 27. November 2017
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