Kritik: Die Dunkelste Stunde
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Im Mai 1940 scheint der Zweite Weltkrieg bereits verloren. Wie Dominosteine fällt ein mitteleuropäischer Staat nach dem anderen in den Schoss Hitlers. Wenig später wird zudem die gesamte britische Berufsarmee im belgischen Dünkirchen eingekreist. Die Appeasement-Politik von Neville Chamberlain (Ronald Pickup), der versuchte Hitler mit kleinen Zugeständnissen vom Schlimmsten abzuhalten, ist kolossal gescheitert. Doch dann betritt – mit Zigarre, Melone und Gehstock bewaffnet – ein eigenwilliger Superheld das Spielbrett: Winston Churchill.
Trotz Widerständen in der eigenen Partei wird der exzentrische Außenseiter Churchill (Gary Oldman: Dark Knight-Trilogie, Dame, König, As, Spion, Harry Potter) zum neuen britischen Premierminister ernannt. Nicht nur die Abneigung seiner eigenen Parteigenossen, sondern auch sein von Völlerei, Alkohol und ungestümem Jähzorn gezeichnetes Wesen erinnern in der Inszenierung von Regisseur Joe Wright (Stolz und Vorurteil, Abbitte) überraschend stark an Donald Trump, den Poltergeist im zeitgenössischen Weißen Haus.
Für die britische Geschichte ist Churchill jedoch weniger Albtraum, sondern viel mehr Heiland. Ihm wird zugeschrieben den Wendepunkt – wenn nicht sogar den Sieg – im Kampf gegen Nazi-Deutschland herbeigeführt zu haben.
Dass da noch ein paar Faktoren mehr hineinspielen weiß auch Joe Wright, der sich in Abbitte bereits im Jahr 2007 mit „der dunkelsten Stunde“ der jüngeren britischen Geschichte beschäftigte: der Umzingelung des britischen Expeditionskorps in Dünkirchen.
Als hätten sie sich abgesprochen, liefern Joe Wright und Christopher Nolan mit nur wenigen Monaten Abstand Filme zum selben Thema. Während sich Dunkirk meisterhaft auf die Ereignisse am Strand von Dünkirchen (englisch: Dunkirk) konzentriert, legt Darkest Hour, wie der Originaltitel des Historiendramas lautet, das Augenmerk auf die politischen Ereignisse in London.
Darkest Hour ist, genauso wie Dunkirk, ein Kriegsfilm. Die Geschütze die Wright dabei auffährt sind jedoch Worte, nicht Schusswaffen. Wenn Churchills tobende Stimme die Reihen seines Kabinetts mit Wortsalven bestreicht, dann steht das dem Geschützdonner an der Front nur um Weniges nach. Joe Wright illustriert damit eindrucksvoll wie sich in Kriegszeiten auch die Zivilgesellschaft und besonders deren Rhetorik verändert. Kein Wunder, dass Churchill von seinen Zeitgenossen mit dem Spitznamen „Bulldogge“ belegt wurde.
In der Tat benimmt sich der Churchill, den Wright zeichnet, über weite Teile des Films wie ein Elefant im Porzellanladen – und erinnert dabei besonders an Donald Trump. Wright betont dennoch den Unterschied der Beiden, was sich in der Kernfrage des Films erkennen lässt: Soll ein gefährlicher, anti-demokratischer Führer besser beschwichtigt oder lieber bekämpft werden? Churchill, der die Beschwichtigungs-Taktik (Appeasement-Politik) seiner Vorgänger für gescheitert erklärt, plädiert für Kampf. Übertragen auf das hier und jetzt lässt sich Die dunkelste Stunde auch als Mahnung daran verstehen, was passiert, wenn man Antidemokraten nicht die Stirn bietet.
Faszinierender als die Schimpftiraden Churchills, sind jedoch Feuerpausen, in denen Gary Oldmans Churchill einem Schuljungen gleich witzelt und herumalbert. Diese naive Leichtigkeit macht ihn zu einem Charakter, den man einfach liebhaben muss – trotz oder gerade wegen seiner charakterlichen Mängel.
Die dunkelste Stunde lebt von großartigem Schauspie. Er zeichnet ein vielschichtiges Charakterbild vom britischen Premierminister Winston Churchill, der mit der drohenden Niederlage gegen Nazi-Deutschland schwer zu kämpfen hat. Gary Oldmans grandiose Performance als polternder Staatsmann und witzelnder Privatier haucht der verstaubten Geschichtsfigur neues Leben ein. Doch trotz der handwerklich erstklassigen Inszenierung ist der Film von Joe Wright einer sachlich-nüchternen Erzählweise verhaftet, die das Potenzial der Hauptfigur nicht vollends ausschöpft. Die Message des Films könnte jedoch nicht besser auf aktuelles Zeitgeschehen einzahlen und verleiht Darkest Hour eine Dringlichkeit, die einen Kinobesuch lohnt.
Artikel vom 28. Februar 2018
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