Kritik: Die Stillen Trabanten
Gemeinsam einsam
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Menschen treiben durch eine Stadt und treffen einander. Der Security-Mann Erik (Charly Hübner) lernt die Ukrainerin Marika (Irina Starshenbaum) kennen. Jens (Albrecht Schuch) freundet sich mit Hamed (Adel Bencherif) an, verbringt aber lieber Zeit mit dessen Frau Aischa (Lilith Stangenberg). Christa (Martina Gedeck) betäubt den Feierabend in der Bahnhofskneipe und findet in Birgitt (Nastassja Kinski) eine Schulter zum Anlehnen, die sie nie wieder gehen lassen will.
„Ich kenne das Leben – ich bin im Kino gewesen“ heißt es in einem Lied der Fehlfarben und glücklich schätzen darf sich, wer diese Erfahrung teilt. Die Stillen Trabanten ist ein gelungener Blick in das Leben einzelner Personen, doch vielleicht sogar in unser aller Leben, ein Fühlen des Pulsschlags der BRD im Jahr 2022. Die große Stärke des Films ist das Abbilden unterschiedlichster Figuren, ohne sich jedoch in den Unterschieden zu verlieren. Dem Werk geht es nicht um die Hervorhebung der partikularen Identitäten (Geschiedene, Geflüchtete, Wendekind, Konvertitin…) sondern die Suche nach dem Band, das sie verbindet – die Einsamkeit. Menschen leben auf engem Raum in einer großen Stadt, begegnen sich, nur um anschließend zurückzukehren in ihre einsamen Blasen. In wechselnden Episoden erleben wir spürbar die Reibung, die entsteht, wenn diese Menschen aufeinandertreffen und ihre Schutzpanzer aneinander reiben.
(Drehbuch-)Autor Clemens Meyer beweist wieder einmal seinen Feinsinn für stille Charaktere, die im Scheinwerferlicht eigentlich fehl am Platz wirken, aber dann wie unter einem Mikroskop freigelegt werden. Unaufdringlich aber unübersehbar sind seine Geschichten aber immer auch genuin ostdeutsche Geschichten. In der schüchternen Supermarkt-Romanze In den Gängen oder dem explosiven Jugend-Drama Als Wir Träumten fühlt es sich stets so an, als hätte der Autor jeden Handgriff und jedes Gefühl seiner Figuren selbst bereits durchlebt. Die Seherfahrung im Kino ist immer eine zutiefst authentische und Meyers Blick auf die Bewohner seiner Welten ist fast dokumentarisch. Die neueste Zusammenarbeit mit Thomas Stuber ist ein weiteres Geschenk an ihre Heimatstadt Leipzig und ihre vielfältigen Bewohner:innen, vor allem die Übersehenen, die im Hintergrund arbeiten und den Laden am laufen halten.
Erik dreht als Security-Mann in einer Flüchtlingsunterkunft Nacht für Nacht seine Runden. Niemand spricht mit ihm, sein Hund hat keinen Namen, zwischen den Rundgängen sitzt er im Container und unterhält sich mit seinem Kollegen – übers Funkgerät. Als er die junge Ukrainierin Marika trifft, taut die Eisschicht, die sich zwischen ihn und die Außenwelt geschoben hat. Ob seine Faszination zu Marika freundschaftlicher, väterlicher oder romantischer Art ist, bleibt, vermutlich gewollt, vage. Er kümmert sich um Heimatlose, ist es im Grunde aber selbst.
Imbiss-Koch Jens freundet sich mit Hamed an – und verliebt sich in dessen Frau Aischa. Das klingt nach kalter Kost, ist aber mit Komplikationen gewürzt, die diesen Episoden eine tragfähige Dynamik geben, welche für einen eigenen Film gereicht hätte. Aischa hieß mal Jana, und ist vermutlich für ihren Mann zum Islam konvertiert. In ihrer Seele streiten Aischa und Jana um die Kontrolle und Jens ist unsicher, welche der beiden ihn anzieht. Oder ist es letztlich der Glaube selbst, welcher Aischa und Hamed so viel Halt gibt? Ohne die Konflikte zu scheuen, aber mit großem Respekt erzählen diese Episoden auch vom islamischen Leben in Deutschland – wer hätte gedacht, dass es dazu im Jahr 2022 noch Neues zu erzählen gibt?
Am intimsten, tragischsten und beeindruckendsten sind jedoch die Episoden um Christa und Birgitt – unterschiedlich und doch verbunden in ihrem Alleinsein und dem Hang zum Alkohol. Umhertreibende Nachtgespenster, die am Tresen aufeinandertreffen und sich vereinen, wieder auseinanderfließen, am nächsten Tag zurückkehren. Wie Ebbe und Flut zieht sie das Leben morgens aus der Bahnhofskneipe, nur um sie am Ende der Nachtschicht wieder dort anzuspülen. Ohne Kitsch dürfen wir stille Beobachter:innen sein, wenn sich zwei Menschen jeden Tag ein bisschen näher kommen. Nastassja Kinskis Rückkehr auf die Leinwand ist ein kleiner Grund zum Feiern, ihr Schauspiel zum Verlieben.
Mit drei Hauptsträngen steht der Film auf stabilen Füßen, springt zwischen Schicksalen umher ohne den Faden zu verlieren. Einige Szenen sind fantasievoller, andere nüchterner, still, laut, bunt oder trist. Die einzelnen Handlungsstränge sind nicht besonders abenteuerlich, doch nah am Alltag. Die Bilder unterstreichen die Einsamkeit der Menschen, die sich in ihnen bewegen. Wir befinden uns fast ausschließlich an Knotenpunkten der Stadt – Hochhäuser, Bahnhöfe, vollbesetzte Flüchtlingsunterkünfte – doch sind die Einstellungen stets von Einsamkeit geprägt.
Ein Ensemble von hochkarätigen Schauspielern sucht in dieser Verfilmung von Kurzgeschichten nach dem Kern von menschlichem Aufeinandertreffen, wenn aus einsamen Großstädtern Leidensgenossen werden. Die Aufnahmen sind gewollt kalt, wärmen sich jedoch durch stilles, tiefes Schauspiel auf. Handlung und Dialoge sind eher herkömmlich, nicht alle Episoden sind gleich stark, doch vereint sie ein durchgehender Grundton. Filme wie dieser helfen, das Leben kennenzulernen.
Artikel vom 10. Dezember 2022
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