6.2/10

Kritik: Like a Complete Unknown

DER FLUCH DES BIOPIC

Genres: Biografie, Startdatum: 27.02.2025

Interessante Fakten für…

  • Alle musikalischen Beiträge wurden von den Schauspieler:innen selbst performt.
  • Obwohl sie auf einer realen Person basiert, trägt die Figur Sylvie Russo als einzige einen fiktiven Namen. Bob Dylan bat persönlich darum, die Privatperson, auf der die Figur basiert, zu schützen.

Nein, Timothée Chalamet singt natürlich nicht wie Bob Dylan, doch wer könnte das schon? Und wer würde das hören wollen? Der Jahrhundertkünstler ist nicht mit gängigen Maßstäben zu bewerten. Und genau deshalb scheitert James Mangolds konventionelles Biopic.

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#Kinogänger #Klassiker #Trashfan

Darum geht’s

Mit einer handvoll Dollar und einer Gitarre unterm Arm erreicht der junge Bob Dylan (Timothée Chalamet) New York City. Der berühmte Folksänger Pete Seeger (Edward Norton) wird auf den Jungen aufmerksam und verhilft ihm zu ersten Auftritten. Mit seinen bissigen, aber poetischen Songs trifft Dylan den Nerv der Zeit und steigt zur Stimme seiner Generation auf. Doch bald zieht es den Sänger weiter, hin zu einem neuen Sound. Die Fanszene reagiert mit Unverständnis und seine Freundin Sylvie (Elle Fanning) fürchtet um ihre Beziehung.

Kraft der Emanzipation

Kann man ein Biopic spoilern? Regisseur James Mangold tut dies implizit, als er Bob Dylan, der ein Jahr später einen schweren Motorradunfall erleiden sollte, auf seiner knatternden Maschine aus dem Film fahren lässt. Partnerin, Freunde und Idole lässt er zurück. Aus dem Folk-Sänger ist ein Rockstar geworden, der motorisierten Zukunft entgegendröhnend. In Like a Complete Unknown ist das Motorrad ein Symbol der gewonnenen Freiheit, aber auch der zerstörerischen Kraft der Emanzipation.

Diese Lebenslinie des Sängers zieht der Film nach: Emanzipation von Vorbildern und der eigenen Vergangenheit, die Formung einer eigenen Identität und der äußere Druck, diese Identität anzupassen. Dieser thematische Fokus gibt dem Film Halt, doch er engt die historische Figur ein. Sie wird nicht innerlich erforscht, sondern durch die Außenwahrnehmung gefilmt. Die gängige Biopic-Formel, anhand einzelner Situationen das ganze Leben zu erschließen, läuft in diesem Fall ins Leere.

Keine Sektkorken

Zwei Eigenheiten des exzentrischen Sängers machen es fast unmöglich, ihn ins Zentrum einer konventionellen Filmbiographie zu stellen: zuallererst steht die Feststellung, dass es keinen Bob Dylan gibt. Bob Dylan ist nicht eine Person, es sind viele. In seiner Karriere füllte der Sänger selbst seine Persona immer wieder mit neuen Identitäten. Todd Haynes Film I’m Not There (2007) inszenierte in diesem Geiste eine Biographie, in der gleich sechs Schauspieler:innen Bob Dylan verkörperten. Zusätzlich erschwert der Charakter Dylans die Aufrichtung einer klassischen Dramaturgie: Es gibt keine Euphorie, keine Sektkorken, keine Selbstliebe. Im klassischen Biopic wird der Zuschauer im Fahrstuhl mit nach oben genommen, die Stimmung überträgt sich, wenn die Musiker:innen Erfolge feiern, das erste mal Luxus und Anerkennung verkosten.

Doch Dylans Karriere bietet diese Emotionen nicht. Die ersten Hits laufen im Radio, die Menge jubelt, die Schecks laufen ein… in Bohemian Rhapsody oder Rocketman sind dies die Momente für triumphale, schnell geschnittene Montagen. Im Leben von Bob Dylan bedeutet dies: Achselzucken, Kaffee nachschenken, Gitarre stimmen. Emotionale Aufladung erreicht der Film nur, indem die Hauptfigur weniger, die Umwelt dafür mehr beleuchtet wird. Like a Complete Unknown ist vor allem ein Film über Dylans Wegbegleiter und Zeitgeschichte.

Aufladung von Außen

Es sind die frühen 60er und unter der amerikanischen Jugend regt sich Widerstand. Im gemeinsamen Chor der Folksongs träumt sie von der Veränderung, doch die ersten werfen frustriert das Handtuch – im zahmen Folk kann sich die Kraft der Veränderung nicht entfalten. Auch Dylan wird zum Verräter, der die akustische Gitarre aus der Hand legt und sich neuen Sphären zuwendet. Als im Autoradio die Nachrichten einsetzen, dreht er den Regler weiter zur Musik – Politik steht für ihn niemals vor der Kunst. Die Gegenkultur der 1960er eignet sich ideal zur Erzählung von politischer Kunst, doch ist Bob Dylan die falsche Figur dafür – den Umhang des Protestsängers hat er bereits abgelegt, bevor er zur Ikone wird.

Der Teflon-Sänger will keine Rolle annehmen und ist eine ungeeignete Trägerschicht für zeitgeschichtliche Episoden. Der Regisseur will sich ihm trotzdem nähern und lädt ihn von außen auf, als Liebhaber, Folkie, Hit-Maschine, Rebell. Diese Beschreibung durch Zuschreibung dürfte Dylans Naturell widersprechen. Sein Leben war stets im Wandel, er definierte sich selbst, unabhängig von seiner Umwelt. Der Film beginnt mit seinem Eintreffen in New York City, wir erfahren keine Fakten über seine Vergangenheit. Er ist, wer er sagt zu sein. Like A Complete Unknown will ihn zu einer historischen Figur machen und damit letztlich in die Mottenkiste begleiten.

Fazit

6.2/10
Mäßig
Community-Rating:
Handlung 5/10
Atmosphäre 7.5/10
Charaktere 6.5/10
Schauspiel 7/10
Tiefgang 5/10
Details:
Regisseur: James Mangold,
FSK: 6 Filmlänge: 141 Min.
Besetzung: Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro, Timothée Chalamet,

Wer sich näher mit dem Werk Bob Dylans beschäftigt, merkt schnell, warum Like a Complete Unknown nicht funktioniert. Der Titelfigur fehlt die fesselnde Extravaganz von Freddy Mercury und Elton John, die selbstzerstörerische Melancholie von Johnny Cash und Amy Winehouse oder die “Rücken zur Wand”-Energie von N.W.A. und Eminem. All diese Filmbiografien betrachten das Verhältnis von Bühnenpersona und Privatperson, doch weder das eine noch das andere ist, was Bob Dylan so faszinierend macht. Die Musik selbst bekommt einen Platz im Zentrum, doch um sie herum werden Nebensächlichkeiten aufgespannt und Zeitgeschichtliches aufgebläht. Todd Haynes gelang mit I’m Not There ein in Zeit und Identität freier Blick auf den Künstler. James Mangold wählt ein sehr konventionelles Drehbuch, das wenige Höhepunkte bietet und nicht funktioniert.

Artikel vom 12. März 2025

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