4.5/10

Kritik: Cat Person

Leben, lieben, sterben

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Genres: Drama, Startdatum: 16.11.2023

Interessante Fakten für…

  • Nach der Premiere auf dem renommierten Sundance Film Festival konnte der Film dennoch keinen befriedigenden Deal mit einem Kinoverleiher oder Streamingdienst aushandeln.
  • Die Veröffentlichung der Geschichte zog eine längere öffentliche Auseinandersetzung nach sich. Die Autorin Alexis Nowicki beschuldigte die Verfasserin der Kurzgeschichte, dass die Handlung auf ihrem Leben basiere.

Männer Buh, Frauen Yeah: diese gescheiterte Verfilmung einer Kurzgeschichte im Geiste von #MeToo gibt alle Ambivalenzen auf, um ein durchschaubares und vereinfachtes Spektakels zu servieren.

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#Kinogänger #Klassiker #Trashfan

Darum geht’s

Regelmäßig besucht Robert (Nicholas Braun) die Spätvorstellung im Kino, die junge Studentin Margot (Emilia Jones) verkauft ihm sein Popcorn. Ein kurzer Flirt, getauschte Handynummern, Margot und Robert mögen sich. Doch schon bald verfliegen die Schmetterlinge in Margots Bauch, denn sie begreift die Machtverhältnisse, Kommunikationsprobleme und Gewalt, der Frauen in der Datingwelt ausgesetzt sind.

Wir sind Margot und Robert

Stell dir vor, es ist 2017: „Corona“ ist nur der Name eines Biers, Donald Trump Präsident der USA, Rammstein begeistern die Massen mit Liedern wie „Bück Dich“ oder „Ich tu dir weh“ und keiner wundert sich. Doch die angelaufenen Ermittlungen gegen den Produzenten Harvey Weinstein bringen Steine ins Rollen, die bis heute in Bewegung sind. Es ist das Jahr von „#MeToo“. In diesen aufgewühlten Zeiten erscheint im US-Magazin The New Yorker eine Kurzgeschichte der Autorin Kristen Roupenian und wird zum Ausnahmeereignis. Junge Menschen teilen und lesen die Geschichte, sie wird zu einem der bekanntesten Texte des Jahres. Seit Monaten wurde in der Öffentlichkeit über Dating, Machtverhältnisse und Sex diskutiert, doch scheint es, dass erst die Fiktion es möglich machte, zum Kern der Dinge vorzudringen.

Die knappe, gehaltvolle Prosa der Erzählung von Margot und Robert schien näher an der Lebenswelt junger Menschen zu sein als die Reportagen über reale Vorfälle sexuellem Missbrauchs. Sie verschob den Fokus weg von den namhaften Skandalen, hin zu den Komplikationen des Beziehungslebens, die alle von uns erleben. Jede von uns kann eine Margot sein, jeder ein Robert. Diese Dynamik ist Teil des normalen Lebens und die Geschichte Cat Person war ein Gänsehaut erzeugender Zoom in das Liebesleben junger Menschen. Der Film Cat Person jedoch zoomt nicht. Für ihn ist Sex kein Teil des Lebens – das ganze Leben ist Sex.

„Korrigiertes“ Ende

In der Filmwelt von Cat Person ist alles der Beziehung von Männern und Frauen untergeordnet. In ermüdender, simpler Symbolik hat alles irgendwie mit Geschlecht zu tun. Was im Studium passiert, im Kino läuft, auf der Theaterbühne gespielt wird, selbst Dekoration im Hintergrund ist immer eine vermeintlich clevere, doch durchschaubare Anspielung auf das Vordergründige. Der Film konstruiert eine Welt in der nichts losgelöst von Gender-Diskussion begriffen werden kann und bringt sich damit ungewollt in wildes Fahrwasser. Frauen werden hier nämlich vor allem als Partnerinnen verstanden. Frauenfiguren werden in ihrer Abhängigkeit zu Männern definiert. Von der Polizistin, über die Werkstudentin, bis zur Professorin, alle Frauen sprechen immer über Männer. Durch diesen Fokus auf Geschlechtlichkeit, welcher alle anderen Lebensbereiche ausblendet, bringt das Drehbuch sogar die Integrität der eigenen Hauptfigur in Gefahr, doch dazu später mehr.

Von der Intelligenz des Ausgangsmaterials bleibt wenig übrig. Die subtile Studie von kommunikativen Ambivalenzen, Machtverschiebungen und Erwartungen wird aufgegeben zugunsten einer Horror-Farce mit doppeltem Boden, Barbarian und Promising Young Woman lassen grüßen. Nur wenige Momente brechen das Schwarz-Weiß-Schema und offenbaren das unsichere Schaukeln, welches alle kennen, die sich dem Wagnis Dating stellen: Wie weit darf, muss ich gehen? Kann es überhaupt jemals sicher sein, mit jemand fremden intim zu werden? Und wenn nicht – ist das ein Problem? Als Margot Robert nach Hause begleitet und ihr plötzlich der Gedanke kommt, dass er ihr etwas antun könnte, spricht ihr Gewissen: „Wenn du denkst, er könnte dir was tun – warum bist du dann hier?“. Herausfordernde, konzentrierte Momente wie Lichtstrahlen, die dann doch wieder hinter dunklen Wolken allzu plattem Storytellings verschwinden. Der letzte Akt wird zum aufgeblasenen und unnötigen Finale im Stile der Actionfilme, die Robert liebt. Zusätzlich offenbart er eine fast schon dreiste Übergriffigkeit am Ausgangsstoff. Als hätten sich Drehbuchautorin und Regisseurin das Ziel gesetzt, das offene Ende der Vorlage im Sinne des Grundtenors des Films zu „korrigieren“ – noch platter, noch krasser, noch misogyner.

Todesangst

Nicht nur die oben erwähnte Subtilität des Stoffs geht der Verfilmung abhanden, auch jeglicher Charm verdunstet. Von den unsicheren und doch sympathischen Anfängen der Beziehung ist im Film quasi nichts mehr übrig, ziemlich schnell geht es abwärts, bevor es überhaupt aufwärts ging. Noch bevor die Zuschauer:innen Bindung aufbauen können, ist das Paar zum Scheitern verurteilt. Robert ist ein Psychopath mit einer ernsthaft ungesunden Obsession für Harrison Ford. Für Hobby-Psychopathologen interessant, doch keinerlei Identifikationspotential. Und ohne Identifikation keine Reflektion, kein Lerneffekt für männliche Kinobesucher. Wo die Kurzgeschichte Margot, Robert und Leser:innen zusammenbrachte, rückt der Film sie weiter auseinander.

Margot, schwankende Heldin des Films, ist nicht weniger weltfremd. In dunklen Todesfantasien sieht sie das Leben als Spießrutenlauf zwischen bissigen Hunden und mörderischen Dates und malt eine Welt, in der “Frau sein” ständige Todesangst bedeutet. Diese kontroverse These kann nur bestehen, weil Regisseurin Fogel alle anderen Lebensrealitäten ausblendet. Margot hat reiche Eltern. Margot besucht eine gute Uni in den USA, Margot hat ein stabiles Umfeld, sie ist weiß, gebildet, ein guter Job und ein beträchtliches Erbe warten auf sie. Der Film ignoriert diese Privilegien und macht Dates und Sex zum Dreh- und Angelpunkt von Margot und zeichnet damit eine dunkle Scheinwelt, in welcher der Sensenmann immer nur ein Swipe entfernt ist.

Ja, eine Welt, die morgens/mittags/abends von zwischenmenschlichen Beziehungen dominiert wird, wäre keine schöne. Gut, dass die Welt von Cat Person nichts mit der realen zu tun hat.

Fazit

4.5/10
Schwach
Community-Rating:
Handlung 6/10
Tiefgang 4/10
Emotionen 3/10
Charaktere 4.5/10
Spannung 5/10
Details:
Regisseur: Susanna Fogel,
FSK: 16 Filmlänge: 120 Min.
Besetzung: Emilia Jones, Geraldine Viswanathan, Nicholas Braun,

Liegt es am Format „Kurzgeschichte“ vs. „Spielfilm“? Am Kontext „etabliertes Leitmedium“ vs. „Indie-Kino“? Oder ist es das steigende Momentum der #MeToo-Jahre? Wo die zugrundeliegende Kurzgeschichte noch Nähe zuließ, Ambivalenzen öffnete und damit Leser:innen Zugänge erschuf, in denen sie sich finden und reflektieren konnten, ist der Film ein geschlossenes System, welches bloß keine Zweifel aufkommen lassen will, wie gut und böse verteilt sind. Unnötiges, affirmatives Fem-Kino im Stile von Barbie, welches kein Mit-Denken, sondern Mit-Nicken verlangt.

Artikel vom 30. November 2023

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