6.3/10

Kritik: Rifkin’s Festival

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Genres: Komödie, Startdatum: 07.07.2022

Interessante Fakten für…

  • Für seine Rolle als Sensenmann durfte der schwarze Umhang für Christoph Waltz nicht fehlen. Allerdings kam er ganz schön ins Schwitzen – der Drehtag war der heißeste Tag am Drehort seit 50 Jahren.
  • Rifkin’s Festival ist Woody Allens 49. Film.

Woody Allens Werk ist für die Ewigkeit, doch wirkt sein neuster Film wie ein Blick in den Rückspiegel. Eine Fehlbesetzung und fehlender Humor überschatten die gewohnten Qualitäten des New Yorkers. Doch halt, stand da nicht Christoph Waltz auf dem Plakat?

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#Kinogänger #Klassiker #Trashfan

Darum geht’s

Im spanischen San Sebastian strömen intellektuelle Filminteressierte zusammen. Auch Mort Rifkin (Wallace Shawn) ist mit seiner Frau Sue (Gina Gershon) zum Filmfestival angereist. Der Regisseur Philippe (Louis Garrel) ist der Star des Festivals. Filmfan Mort blickt auf das junge Talent herab, doch seine Frau fühlt sich zu Philippe hingezogen. Nach zehrenden Ehejahren spürt sie erstmals wieder jugendliche Gefühle. Mort wandert allein durch die Straßen der Stadt und gibt sich Tagträumen hin. Auf der Suche nach Antworten findet er sich immer häufiger in Szenen seiner Lieblingsfilme wieder. Als er Jo (Elena Anaya) trifft, erwachen auch seine Lebensgeister.

Remember When…?

„‘Remember When…‘ is the lowest form of conversation”, sagte einst Tony Soprano. Wenn man mit alten Freunden spricht, gibt es solche, die stets nur über alte Zeiten reden. So angenehm all das „Weißt du noch?“ und „Habe ich mal erzählt, wie…?“ auch ist, zumeist entlässt es uns mit dem Gefühl, dass diese Menschen auf der Stelle treten. Derartige Gespräche sind nett, aber selten erhellend. Der Besuch eines Woody Allen-Films fühlt sich nicht selten wie ein Wiedersehen mit einem alten Freund an, doch es stellt sich die Frage, was der Regisseur nach fünf Dekaden des Filmemachens noch zu erzählen hat. Unbestritten ein Großmeister, wirkt sein Werk über unsichere Menschen im Strudel der Großstadt irgendwie auserzählt. Wie viele Künstler:innen wendet Allen nun in der letzten Phase seines Schaffens den Blick nach innen: Selbstreflexion, Huldigung alter Vorbilder und natürlich: „Remember When…“

Diese Mischung aus Allen-typischen Momenten und Verneigung vor seinen Vorbildern funktioniert verlässlich. Nachdem zuletzt A Rainy Day in New York ein typischer und leider unterdurchschnittlicher Streich Allens war, schafft es sein neuester Film häufig die alte Schöpferkraft anzapfen, Glanzlichter alter Großwerke scheinen durch. Schließlich bewegen wir uns auf sicherem Terrain für den Filmemacher: Urlaubsfeeling, Eifersucht, Hypochondrie, philosophierende Pensionäre vs. energiegeladene Jungspunde. Von Hannah und ihre Schwestern bis Vicky Cristina Barcelona finden sich Figuren wieder, als würde der Regisseur tief im eigenen Fundus graben. Ohne sich selbst zu kopieren, gelingt es Allen, sein eigenes Werk zu öffnen und Bausteine neu zusammenzusetzen.

Allerdings schafft diese Arbeit mit dem eigenen Werk zwei Probleme: Die Schauspieler:innen sind sich bewusst, in einem Woody Allen-Film zu spielen und agieren dementsprechend. An vorderster Front fällt Hauptdarsteller Wallace Shawn negativ auf, dessen Overacting aus der Zeit gefallen scheint. Das zweite Probleme ist die starke Fokussierung auf die (eventuell autobiografische) Figur Mort Rifkin. Rifkin nervt, nimmt Raum ein und verstellt den Blick auf das, was in vielen Filmen von Allen und auch in diesem, das stärkste ist: die Romanzen am Rand. Die schwebende Leichtigkeit, mit der sich Menschen ineinander verlieben, wird von wenigen so gut festgehalten. In diesem Film sehen wir stattdessen viel zu viel vom stotternden, selbstverliebten Rifkin. Die organische, komplexe Romanze von Sue und Philippe ist das, was wir eigentlich sehen wollen.

Aus dem Kopierer

Ein alternder Filmfan versinkt in Erinnerungen, die sich in Filmszenen seiner alten Idole manifestieren. Ist das Meta oder die Kopie einer Kopie?

Rifkin wandert durch San Sebastian und gibt sich Tagträumen hin. Aus den Tiefen seines Unterbewusstseins mischen sich Gedanken und Wünsche mit seinen liebsten Filmszenen von europäischen Meistern wie Godard, Bergman oder Buñuel. Diese Versatzstücke des europäischen Filmkanons sind unterhaltsam und technisch hervorragend umgesetzt. Doch lassen sie einen bitteren Nachgeschmack zurück, zwischendurch fragen wir uns, was diese Spielereien überhaupt bezwecken sollen. Rifkin nervt seine Umwelt mit ungefragten Kurzvorträgen zu europäischen Klassikern und leicht versnobter Schwärmerei – tut der Mann auf dem Regiestuhl hier nicht genau dasselbe? Nicht einmal in der Hälfte der Fälle erheben sich die Neuinterpretationen von klassischen Szenen zu Momenten mit Mehrwert. Meist bleibt es bei einem kurzen Schmunzeln und der Anerkennung der technischen Raffinesse, doch wenn plötzlich Rifkin durch Szenen aus Jules und Jim oder Der Würgeengel stolpert, hinterlässt das keinen bleibenden Eindruck – eine nette Spielerei, mehr nicht.

Nicht leer, aber sinnlos

Lediglich die letzte dieser kopierten Szenen entwickelt einen eigenen Auftrieb. Ausgerechnet der Auftritt von Christoph Waltz ist es, der in Erinnerung bleibt. Für seinen fünfminütigen Auftritt erhielt der Österreicher einen prominenten Platz auf dem Plakat, ein Weltstar mit strahlender (Werbe-)Wirkung für jeden Film. Doch, selbst die größten Zyniker:innen müssen zugeben: Er spielt toll.

In der üblichen, doch angenehmen Waltz-Manier brummelt sich der Schauspieler als Gevatter Tod durch eine Variante von Ingmar Bergmans Das Siebente Siegel. Rifkin klagt, sein Leben sei leer und sinnlos. Sinnlos auf jeden Fall, bemerkt der Tod mit charmanten Akzent. Doch leer muss es nicht sein. Im Sinne des Existenzialismus empfiehlt der Tod: Fülle dein Leben! Fülle es mit Freunden, Arbeit, Liebe! Das kann sinnlos sein, doch Hauptsache, es bewegt sich.

Sollte dies Woody Allens letzter Film sein, geben diese Empfehlungen ein schönes Fazit ab. In seinem filmischem Schaffen gibt es grandioses und mittelmäßiges. Vieles in seinen Filmen ist leichte Kost, vielleicht sogar sinnlos. Doch bei aller eventuellen Sinnlosigkeit fühlen sich all die Filmminuten niemals tot oder leer an. Wie Small Talk mit alten Freunden.

Fazit

6.3/10
Mäßig
Community-Rating: (1 Votes)
Schauspiel 7/10
Humor 6.5/10
Dialoge 5/10
Tiefgang 5.5/10
Atmosphäre 7.5/10
Details:
Regisseur: Woody Allen,
FSK: 12 Filmlänge: 92 Min.
Besetzung: Christoph Waltz, Elena Anaya, Gina Gershon, Louis Garrel, Wallace Shawn,

Im Jahrestakt schafft es ein neuer Woody Allen-Film auf die Leinwand – niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, ihn sausen zu lassen. Auch dieser gehört zum Mittelmaß. Das Reenactment von Kinoklassikern macht Spaß und sorgt für Kurzweil, doch die einzigartige Leichtigkeit, mit der Allen einst die großen Fragen des Lebens entschlüsseln konnte, bleibt verschollen.

Artikel vom 23. Juli 2022

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