Kommentar: Fandom – Fluch oder Segen?

FAN KOMMT VON FANATIC

Die meisten großen Film-Franchises haben eine große Fangemeinde, die auch als Fandoms bezeichnet werden. Diese Fan-Liebe hat gute, aber auch einige schlechte Seiten, von denen einige dank der kleiner werdenden Distanz zwischen Fans und Machern immer häufiger zum Vorschein kommen. Deswegen fragen wir uns: Sind Fandoms eigentlich etwas Gutes?

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#ComingOfAge #Dramedy #BesterHobbyKoch

Ende April war es endlich soweit. Nach elf Jahren filmischer Vorbereitung erlebten Fans weltweit mit Avengers: Endgame (2019) das (vorerst) große Finale der dritten Phase des Marvel Cinematic Universe. Auch ich traf mich am 24. April, dem deutschen Veröffentlichungstag des Films, mit einer Gruppe von Freunden vor dem heimischen Kino, um das Ende dieser Reise anzutreten. Der Vorraum des Kinosaals war so voll wie noch nie. Überall Menschen mit Fan-Shirts und Merchandise jeglicher Art, von jeder Seite waren Gespräche über Superhelden und Marvel zu hören. Wir alle waren aus demselben Grund hier: Wir lieben Marvel-Filme.

Während der Vorstellung kam es zu Szenen, die für das deutsche Kinopublikum äußerst ungewöhnlich sind: Es wurde laut geklatscht, geschrien, geweint. Bei mir machte sich ein wohliges Gefühl breit. In dieser Masse an Fans fühle ich mich wohl, das sind Gleichgesinnte! Diese Menschen unterhalten sich auch Tage lang über mögliche Zukunftsszenarien der Leinwandhelden, sie schauen sich im Internet auch tausende Videos über kleine Easter Eggs an und unterhalten sich mit Fremden über die eine Sache, die sie irgendwie doch so sehr verbindet.

Fandoms: Fluch oder Segen?

Wenn eine Serie, ein Film oder auch ein Buch oder Videospiel so eine eingeschworene, große Gruppe an Fans hat, spricht man von Fandoms. Und solche Fandoms hören sich ja erstmal ganz gut an: Durch diese eine Sache, die man so gerne mag, ist man sofort mit Millionen von Menschen weltweit verbunden, kann sich mit ihnen austauschen, findet vielleicht sogar neue Freunde. Auch Produktionsstudios und Kreative erfreuen sich an dem Interesse an ihren Werken und verstehen die Bedeutung eines Fandoms immer besser.

Also alles gut, wir freuen uns über neue Filme unserer Lieblingsreihen und leben alle in Frieden weiter? Eher nicht. Denn in letzter Zeit, und da spielt das Internet auch eine wichtige Rolle, zeigen Fandoms auch eine zunehmend hässlichere Seite. Das haben zuletzt Medienspektakel wie Star Wars Episode XIII – Die letzten Jedi (2017) oder das Finale der beliebten Fantasy-Serie Game of Thrones (2011 – 2019) gezeigt. Immer öfter äußern extreme Fans auf unverständlich harte und schlichtweg unhöfliche Art und Weise ihre Kritik an „ihren“ Filmen und Serien, attackieren und beleidigen Beteiligte und Andersgesinnte verbal. Mir stellt sich deshalb die Frage: Sind Fandoms tatsächlich so großartig?

Was bedeutet Fandom überhaupt?

Aber gehen wir erstmal einen Schritt zurück und versuchen den Begriff Fandom noch etwas greifbarer zu machen. Wie bereits erwähnt, sind Fandoms eine große, eingeschworene Gruppe an Fans eines Films, einer Serie oder einer Person, die sich dieser Tatsache auch bewusst sind und sich mitunter dadurch definieren. Mitglieder eines Fandoms können also in gewisser Weise als „Hardcore“-Fans bezeichnet werden. In ihrer Freizeit beschäftigen sie sich intensiv mit den Inhalten der geliebten Serie und setzen sich kreativ damit auseinander, beispielsweise in Form von Fan-Fictions, Fan-Art, Cosplays oder detaillierten Reviews und Diskussionen.

Eine weitere Sache, die ein Fandom auszeichnet, ist die Verbundenheit untereinander. Ob im realen Leben auf beispielsweise Conventions oder online: Viele Mitglieder von Fandoms stehen untereinander in Kontakt, um sich über ihr gemeinsames Interesse auszutauschen. Eine Person, die sich als Fan von beispielsweise Star Wars bezeichnet, in ihrem Fan-Sein aber nicht so extrem ist, gehört demnach nicht dem Fandom an.

Gemeinsam für die gute Sache

Da die Begrifflichkeit jetzt grob umrissen wurde, können wir uns die Frage stellen, was es überhaupt bringt, Teil eines Fandom zu sein. Schon häufig haben sich die Mitglieder von Fandoms für gemeinnützige Zwecke stark gemacht und die Welt tatsächlich zu einem besseren Ort für alle, Fan oder nicht, gemacht. Ein prominentes Beispiel ist die Nerdfighteria-Community der YouTuber Hank und John Green, besser als VlogBrothers bekannt, die mit ihrer jährlichen Wohltätigkeitsveranstaltung Project for Awesome allein im Jahr 2018 über 1.6 Millionen US-Dollar für wohltätige Zwecke sammeln konnten.

Freunde treffen in Hogwarts

Jeder Potterhead, der mal die Harry Potter-Studiotour in London mitgemacht hat, wird einen weiteren Vorzug von Fandoms erlebt haben. In einer Gruppe von wildfremden Menschen zu stehen und sich doch irgendwie zugehörig zu fühlen, nur weil man die gleiche Sache liebt, ist ein schönes Gefühl. Online vernetzten sich Fans aus aller Welt miteinander, unterhalten sich, freunden sich an. Und das alles nur, weil man zufällig die gleiche Serie, den gleichen Schauspieler oder die gleiche Regisseurin gut findet. Auf der Gamescom habe ich schon oft mit fremden Menschen interessante und lange Gespräche geführt, einfach weil uns auffiel, dass wir beide das gleiche Spiel mögen. Und das alles nur, weil wir eben dem gleichen Fandom angehören. Das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die Medienwelt; auch im Fußball lässt sich dieser Zusammenhalt von Fans sehr gut beobachten.

Die Macht von Fans

Dank des Internets sind Fandoms stärker in das Sichtfeld der Industrie gerückt. Dadurch kommt es mitunter zu einem regen Austausch und einer Art Bund zwischen Fans und den tatsächlichen Beteiligten. Nur dank der konstanten Unterstützung von Fans konnte Joss Whedon den Film Serenity: Flucht in neue Welten (2005) realisieren, ein Sequel-Film zu der von Fans heißgeliebten, aber wirtschaftlich nicht erfolgreichen Serie Firefly (2002).

Auch das Lucifer-Fandom blieb nach der plötzlichen Absetzung der Serie durch FOX nicht still und startete mit dem Hashtag #SaveLucifer eine andauernde Twitter-Kampagne, die letztendlich dazu führte, dass die Serie von Streaming-Gigant Netflix weitergeführt wurde.

Vom Fan zu Macher:innen

Wie bereits erwähnt, ist ein großer Teil des Fandoms, sich kreativ mit dem Fanobjekt der Begierde auseinanderzusetzen, sei es in Form von Bildern, Videos, Cosplays oder Texten. Das kann auch dazu führen, dass Fans darüber den Weg in die Industrie finden. Fifty Shades of Grey war ursprünglich eine Twillight-Fan-Fiction von der Autorin E.L. James, der kürzlich erschienene Film After Passion (2019) basiert auf einer Reihe von Büchern, die eigentlich auch mal One Direction-Fan-Fictions der Autorin Anna Todd waren. Auf Conventions werden Cosplayer, allen voran im Gaming-Bereich aber auch immer öfter für die Bewerbung von Filmen, von der Industrie angeheuert, um die fiktiven Charaktere zum Leben zu erwecken. Ein gutes Beispiel dafür ist das deutsche Cosplayer-Paar Ben Bergmann aka Maul Cosplay, den man auch aus dem weltweit erfolgreichen Star Wars-Fanfilm DARTH MAUL: Apprentice von Shawn Bu kennt, und Maja Felicitas Bergmann. So kann die intensive Liebe zu dem Fanobjekt also auch zum tatsächlichen Beruf werden.

Liest man sich diese Punkte durch, merkt man schnell, dass Fandoms einen positiven Effekt auf das eigene Leben und das Leben anderer haben kann. Sie geben Menschen mit ihrem Interesse im übertragenen Sinne einen Ort, an dem sie sich mit Gleichgesinnten austauschen und sich zuhause fühlen können. Das kann zum einen zu gemeinnützigen Aktionen, aber auch zur kreativen Auseinandersetzung mit dem Fanobjekt führen. Dank letzterem Punkt haben einige Fans es sogar geschafft, den Weg in die Branche zu finden und konnten ihr Hobby zum Beruf machen.

Ist das noch Kritik oder schon Hass?

Doch Mitglieder von Fandoms können mitunter auch eine weitaus hässlichere Seite an den Tag legen. Das passiert besonders dann, wenn Fans mit dem Produkt ihrer Begierde, sei es jetzt eine Serie, ein Film oder etwas anderes, unzufrieden sind. Star Wars liefert dafür gleich mehrere Beispiele: So waren Ahmed Best (Jar Jar Binks), Jake LLoyd(Anakin Skywalker) oder auch Kelly Marie Tran (Rose Tico) nach ihren Auftritten in dem beliebten Franchise heftigem Mobbing ausgesetzt, das Best beispielsweise fast in den Suizid trieb.

Jar Jar Binks ist einer der meist gehassten Charaktere im Star Wars Universum.

Obi-Wan Kenobi, Jar Jar Binks und Qui-Gon Jinn im Gespräch in Star Wars Episode I - Die Dunkle Bedrohung

Hier geht „Fan-Liebe“ definitiv zu weit. Es ist vollkommen in Ordnung, einen Charakter, die Fähigkeiten einer Schauspielerin oder eines Schauspielers oder die von den Filmschaffenden getroffene Entscheidungen nicht zu mögen und diese zu kritisieren. Wenn die Kritik sich allerdings auf die Kernaussage „Du hast mein Fanobjekt kaputtgemacht, du bist scheiße!“ runterbrechen lässt, ist das keine Kritik mehr. Und das scheinen einige Menschen, die sich hinter dem Deckmantel des Fandoms und der angeblichen Fan-Liebe verstecken, gerne mal zu vergessen.

Wenn die Fiktion zur Realität wird

Fanliebe wird auch dann problematisch, wenn sie das Leben immer mehr dominiert und einnimmt. Natürlich ist es nicht schlimm, sich in eine Sache reinzuarbeiten und darin aufzugehen. Auch ich habe viel Freizeit mit Game of Thrones verbracht und flüchte in schwierigen Phasen meines Lebens gerne mal nach Westeros. Aber mir ist trotzdem bewusst, dass es neben meiner Lieblingsserie noch andere Dinge gibt, die wichtiger sind. Egal wie man es dreht und wendet, im Endeffekt sind Serien, Filme oder Videospiele in den meisten Fällen eben Fiktion, die die Realität nicht ersetzen kann oder soll. Dieser Grundsatz verschwindet bei einigen Fans, vor allem wenn sie aktiv in einem Fandom involviert sind. Im Fokus stehen nur noch die Mitglieder und die Aktivitäten der Community, das tatsächliche Leben rückt immer mehr in den Hintergrund, bis es schließlich eine komplett untergeordnete Rolle spielt. Und ohne den Zeigefinger heben zu wollen, aber auch hier hat es das Internet wieder einfacher gemacht, vollends in seinem Objekt der Begierde aufzugehen. Wie bei allen Dingen gilt hier: In Maßen und nicht in Massen.

Wie so ziemlich alles im Leben haben also auch Fandoms schlechte Seiten. Diese zeigen sich vor allem dann, wenn das Fanobjekt in einer Art und Weise verändert wird, die bestimmten Fans gegen den Strich geht. Eine weitere Problematik kann auftreten, wenn die Liebe zur Fiktion immer mehr in den Vordergrund rückt und dadurch die eigen Lebensrealität immer unwichtiger wird.

Und was lernen wir daraus?

Geht man in Sachen Fandom lieber auf Distanz oder gibt man sich der Fan-Liebe hin? Hierauf gibt es keine einfache Antwort. Fandoms können ein Ort sein, in dem Menschen gemeinsame Interesse diskutieren, sich kreativ austoben und füreinander da sind. Gefährlich wird es eben dann, wenn Fans sich in dem fiktiven Werk verlieren. Fandoms haben auch Platz für konstruktive Kritik, doch blinder Hass und Drohungen sind eben nicht konstruktiv und meiner Auffassung nach auch kein Bestandteil von Fandoms. Denn in ihrem Kern sind Fandoms, auch wenn sie auf Außenstehende etwas merkwürdig wirken mögen, eine gute Sache.

Artikel vom 21. August 2019

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