8.8/10

Kritik: BoJack Horseman – Staffel 5

MIT KOPFSPRUNG IN DIE ABWÄRTSSPIRALE

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Genres: Comic, Drama, Komödie, Startdatum: 14.09.2018

Interessante Fakten für…

  • Namhafte Schauspieler*innen leihen der Serie ihre Stimmen. Darunter John Krasinski (The Office), Rami Malek (Bohemian Rhapsody) und J.K. Simmons (Whiplash).
  • Will Arnett sagte über die Figur BoJack Horseman, sie sei die härteste Figur seiner Karriere gewesen. Nicht selten habe er deren Dunkelheit nach Arbeitsschluss mit nach Hause genommen.

BoJack Horseman ist spätestens mit der vierten Staffel in den Serien-Olymp von Netflix aufgestiegen. Die fünfte Staffel soll diese Stellung nun verteidigen – doch die Erwartungen sind immens. Ob es ‘BoJack Horseman’ – Staffel 5 gelingt, uns zufrieden zu stellen, erfahrt ihr in der Bewertung und Kritik.

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#NetflixAndChill #Meta #AdvocatusDiaboli

Darum geht’s

Ein neues Jahr, ein altes Pferd. Der egozentrische TV-Star BoJack Horseman (Will Arnett, Hot Rod) ist dank einer Unterschriftenfälschung seiner Managerin Princess Carolyn (Amy Sedaris) dazu verpflichtet, die Hauptrolle einer neuen Noir-Serie namens “Philbert” zu mimen. Dabei wird der Exzentriker einmal mehr mit seiner unausstehlichen Art konfrontiert, muss aber auch selbst mit einigen Dingen kämpfen: seiner Depression, seinem dickköpfigen Regisseur Flip McVicker (Rami Malek, Papillon), seinem kalten Co-Star Gina (Stephanie Beatriz, Brooklyn Nine-Nine) und dem zunehmenden Diskurs der #metoo-Debatte. Der Griff zur Flasche wird mal wieder zum schnellsten Ausweg…

Mehr Background für alle!

Show-Creator Raphael Bob-Waksberg ist sich offenbar bewusst, dass die Psychoanalyse seines titelgebenden Protagonisten mit der vierten Staffel einen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Deshalb bekommen wir die Hintergrundgeschichten einiger weiterer Figuren geliefert. Das ist auch nur folgerichtig, immerhin begleiten wir die sorgsam ausgearbeiteten Protagonisten nun schon seit vier Staffeln.

Ob nun Mr. Peanutbutters repetitive Geschichte mit seinen drei Ex-Frauen, Princess Carolyns Emanzipation weg von ihrer eigenen Mutter hin zum Leben als Top-Managerin oder Dianes Identitätssuche in ihren vietnamesischen Wurzeln: keine Erzählstrang ist langweilig, keine Information überflüssig. All das offenbart die Beweggründe jeder Figur – und zeigt nochmals deutlich auf, was das Hauptthema von BoJack Horseman ist: das Erbe der eigenen Familiengeschichte und die daraus entstehenden Verhaltenskonsequenzen in der Gegenwart. Und wie wir es gewohnt sind, schauen diese leider nur selten rosig aus.

Hey BoJack – warum das lange Gesicht?

Unser Protagonist BoJack dreht sich als Charakter im Kreis. Das war in den letzten Staffeln so, das ist auch in BoJack Horseman – Staffel 5 so. Längst ist klar, dass sich das selbstbemitleidende Pferd in seinem Elend suhlt und schön mit dem Finger auf alle anderen Leute zeigt, anstatt selbst Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Wie immer steht sich BoJack dabei selbst im Weg, wie immer jagen ihn die Schatten seiner traumatischen Vergangenheit und seiner schwachen Entscheidungen.

Nur nutzt sich zum ersten Mal dieses Konzept leicht ab. Zwar können die stärkeren Storylines der Nebenfiguren zeitweise darüber hinwegtäuschen, doch ein Protagonist, der sich über fünf Staffeln kaum sichtbar verändert, ermüdet ein wenig. Klar, die ganze Serie ist um genau dieses Thema des persönlichen Stillstands aufgebaut – aber kann sich nicht ein wenig mehr tun? Staffel 4 stellte uns mit BoJacks Halbschwester Hollyhock eine Figur in Aussicht, die ihn tatsächlich zu einem verantwortungsvolleren Menschen machen könnte. Nur, um in Staffel 5 fast überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Wovor scheuen sich die Showrunner?

Überdimensionale Selbstkonfrontation: BoJack Horseman muss sich einmal mehr seinen inneren Dämonen und seiner Vergangenheit stellen.

Bojack Horseman mit einem riesigen Luftballon von sich selbst in einem Szenenbild aus Bojack Horseman Staffel 5

Es wäre gelogen zu sagen, dass diese Hassliebe zwischen Zuschauer und BoJack nicht dennoch nach wie vor unterhaltsam wäre. Ja, es bleibt witzig zu sehen, mit welcher Gleichgültigkeit BoJack durch die Szenen stapft. Doch wenn er in einem fast 20-minütigen Monolog bei einer Beerdigung mit einer höchsten Selbstreflexion seine komplette Psyche offenlegt, dabei verletzlich und gleichzeitig noch bitterer wird, dann fragt man sich als Zuschauer schon: Was braucht es, damit BoJack über seinen Schatten springt? Denn es wirkt zunehmend so, als würde der Protagonist noch tiefer in den Sumpf seiner Ohnmacht sinken. Einen kleinen Hoffnungsschimmer deutet das Staffelfinale an – aber ganz ehrlich, so hat bisher jede Staffel geendet.

„Really makes you think, though, huh? Life, right? Goes by, stuff happens. Then you die.“

BoJack Horseman in BoJack Horseman

Wunderbar verworrene Handlungsstränge

Während sich im Innenleben des Protagonisten nicht so viel tut, legen die Autoren in ihren großartig gestalteten Handlungssträngen gleich mehrere Schippen drauf. Immer wieder durchbrechen sie unser Sehverhalten und finden neue Wege, der ohnehin starken Handlung eine ordentliche Würze zu verpassen. Zu Beginn von BoJack Horseman – Staffel 5 muss man hier schon konzentriert bei der Sache bleiben, während das Finale komplett Realität und Fiktion verschwimmen lässt.

Wenn zu Beginn Dianes Vietnam-Selbstfindungstrip wie einer ihrer Clickbait-Artikel aufgebaut ist, spiegelt das nicht nur unseren derzeit vorherrschenden Onlinejournalismus wider, es gestattet den Autoren auch einiges an erzählerischer Freiheit. Noch spannender wird es dann, wenn eine Folge aus der Sicht einer Psychotherapeutin und einer Mediatorin geschildert wird, diese aber wegen des hippokratischen Eids alle Figuren “unkenntlich” machen. So ist BoJack Horseman für eine Folge einfach mal ein Zebra. Eine willkommene Abwechslung im Narrativ!

Tatsächlich ist aber einer der erzählerischen Höhepunkte der oben erwähnte Monolog von BoJack bei einer Beerdigung (wer da im Sarg liegt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden). Dem Zuschauer eine gesamte Folge aus einer “Kameraperspektive” mit nur einer Figur zuzumuten, ist definitiv gewagt. Das Verrückte: die Nummer geht voll auf! Zum einen liefert BoJack akribisch eine Zusammenfassung seiner Herkunft, Traumata und Selbstzweifel ab (ein Geniestreich des Autorenteams) und zum anderen zeigt Will Arnett erneut sein Talent, mit dem er jede Facette des geplagten Protagonisten auf den Bildschirm transportiert. Diese Folge ist bezeichnend für die Serie: Komödie und Tragödie treffen in ihrer Reinform aufeinander.

Mit “Philbert” soll BoJack an alte Erfolge anknüpfen. Dabei gerät er mit Regisseur Flip (links) und Princess Carolyn (rechts) aneinander.

Bojack Horseman und Princess Carolyn auf einem Filmset in einem Szenenbild aus Bojack Horseman Staffel 5

Das brillante an BoJack Horseman ist, wie übertrieben die Welt der Stars mit all ihren abstrusen Charakteren persifliert wird. In Staffel 5 erreicht die Serie aber eine (teils unfreiwillige) Aktualität, wie sie nur selten zu sehen war. Die überfällige #metoo-Debatte ist der omnipräsente Begleiter über alle zwölf Folgen. Wie gewohnt gehen die Autoren enorm bissig an die Thematik heran: Die ungleichen Machtverhältnisse werden ebenso angeprangert, wie die Passivität und Handlungsarmut der Beistehenden, die sich nicht gegen die sexuellen Übergriffe aussprechen.

Sogar die Zwickmühle der Opfer wird drastisch wie nachvollziehbar aufgezeigt: Schweige ich lieber, um meine Karriere nicht zu gefährden oder wehre ich mich, werde dafür aber immer in den Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen gebracht? BoJack Horseman – Staffel 5 gibt darauf keine eindeutige Antwort, zeigt aber die Dringlichkeit dieser Debatte auf. Und weist sachte darauf hin, dass man lieber nicht von der falschen Seite vom Pferd fallen sollte (pun intended). In der nächsten Sekunde kracht die Staffel dann aber direkt wieder mit nicht gerade subtilen (und unfassbar witzigen) Metaphern durch die Leinwand: zum Beispiel einem mit Dildos bestückter Sex-Roboter, der durch wahnwitzige Zufälle zum CEO einer Firma erkoren wird und seine Mitarbeitenden belästigt. Dieser Handlungsstrang ist dermaßen over the top, dass kein Auge trocken bleibt.

#metoo-Debatte mit absurdem Lösungsansatz

Den Vogel schießt die Serie aber mit dem “We Forgive You Award” ab. Eine Auszeichnung für in Ungnade gefallene Stars, deren Schuld nach einigen Jahren kollektiv verziehen wird und eine neue Chance im Filmbusiness erhalten. Während die Serie damit in ihrem eigenen Universum einen absurden Umgang findet, wirft sie für die echte Welt genau diese Frage auf: Ab wann darf man über die Verfehlungen der Vergangenheit hinwegsehen und einem Menschen eine neue Chance geben? Darf eine Person mit dem Hintergrund sexueller Übergriffe wieder auf die Bühne gehen? Dieser klar überspitzte Award ist einerseits an Absurdität nicht zu überbieten, wirft aber gleichzeitig all diese Fragen an den Zuschauer zurück. Wie genau geht unsere Gesellschaft nun mit diesen Enthüllungen um?

Vor nicht einmal drei Wochen gab es erst reichlich Diskussionen darüber, als Comedian Louis C.K. nach seinem vorläufigen Karriereaus unerwartet in New York auftrat – und das, obwohl erst im Herbst seine sexuellen Übergriffe ans Licht kamen. Seitdem zerreißen sich die Menschen das Maul darüber, ob dies ein legitimer Schachzug oder offen gelebte, unaufgearbeitete Verdrängung der Vergangenheit ist. Und BoJack Horseman – Staffel 5 beweist dabei nebenbei, dass keine andere Serie so nah am Puls der Zeit ist!

„Oh, please. I sexted a 12-year old and still got a Humanitas Prize.“

Vance Waggoner in BoJack Horseman

Fazit

8.8/10
Sehr gut
Community-Rating: (1 Votes)
Handlung 9.5/10
Dialoge 9/10
Tiefgang 8/10
Humor 8.5/10
Charaktere 9/10
Details:
Showrunner: Raphael Bob-Waksberg,
FSK: 16 Epiosden: 12
Besetzung: Aaron Paul, Alison Brie, Amy Sedaris, Paul F. Tompkins, Will Arnett,

Entwarnung für alle Fans: BoJack Horseman gelingt auch mit der fünften Staffel ein schier unmenschlicher Spagat zwischen Komödie, Drama und bissiger Kritik am System Hollywood. Sehr zu begrüßen sind die neuen Hintergrundgeschichten der beliebten Nebenfiguren, die jedem einzelnen Charakter nochmals eine ganz neue Tiefe geben. Lediglich BoJack selbst dreht sich auch diese Staffel charakterlich im Kreis. Dies ist zwar immer noch konsequent und gleichermaßen unterhaltsam wie auch zum Haareraufen, doch in der nächsten Staffel müssen sich die Showrunner tatsächlich um eine sichtbare Entwicklung bemühen, um nicht repetitiv zu werden. Storytechnisch gelingen den Autoren gleich mehrere Coups, die sich nicht nur in der unkonventionellen Erzählweise ausdrücken, sondern vor allem in der brandaktuellen #metoo-Debatte. Hier werden unangenehme Fragen gestellt, die unserer Gesellschaft wiederum den Spiegel vorhalten und dazu zwingen, sinnvolle Lösungsansätze zu suchen. Genau mit diesen brandaktuellen Narrativen zeigt BoJack Horseman – Staffel 5, dass sie mit zu dem relevantesten Content auf Netflix zählt.

Artikel vom 17. September 2018

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