8.4/10

Kritik: His Dark Materials – Staffel 1

Jugend-Fantasy für Erwachsene

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Genres: Abenteuer, Drama, Fantasy, Startdatum: 03.11.2019

Interessante Fakten für…

  • Leonardo da Vincis “Dame mit dem Hermelin” inspirierte den Autor der Vorlage zu seiner Idee der “Dämonen” in Tiergestalt, die mit einem Menschen verbunden sind.
  • Die Darsteller:innen von Lyra und Father MacPhail sind Tochter und Vater!

Fantasy Nerds hatten sicher lange darauf gewartet, dass endlich eine würdige Verfilmung von Philip Pullmanns Büchern am Horizont auftauchen würde, um uns den missglückten Versuch von 2007, ‘Der Goldene Kompass’, vergessen zu lassen. Ist HBO die Reanimation der faszinierenden Fantasy-Welt geglückt?

Darum geht’s

Lyra (Dafne Keen, Wolverine) lebt als Waise im Jordan College, eine andere Version von Oxford, mit der passenden Ausstattung an Strickpullovern, kurzen Hosen und knuffigen Lederstiefeln. Das Unglück nimmt seinen Lauf, als wahllos Kinder verschwinden, unter anderem Roger, der Küchenjunge und Lyras Freund und Billy Costa, ein Junge der nomadisch lebenden Gypter.

In Lyras Leben gibt es noch ihren Onkel Lord Asriel (James MacAvoy), der auf einer geheimen Mission in der Arktis unterwegs ist, und Mrs Coulter (Ruth Wilson), deren Rolle zunächst nicht klar ist. Auf jeden Fall nimmt sie eine hohe Position ein im „Magisterium“, was man in unserer Welt wohl als die Institution der Kirche bezeichnen würde.

Das Oberhaupt vom College (Clarke Peters, The Wire) vertraut ihr unter Geheimhaltung ein merkwürdiges Gerät an, den Goldenen Kompass. Nachdem Mrs Coulter Lyra mitnimmt in die Stadt, sich aber äußerst dubios verhält, flieht Lyra und begibt sich mit den Gyptern, die auf Flußschiffen leben, auf die Suche nach den entführten Kindern.

Von da an entwickelt sich eine spannende und actionreiche Handlung, die in der Arktis spielt (The North), und in schönster Steampunk-Optik Ballons, Zeppeline, fliegende Hexen und gepanzerte Bären als Akteure zu bieten hat, dass es in Bezug auf Optik, Ausstattung und Augenweide keine Klagen geben kann.

Fantastisches World-Building

Die Idee der Bücher, die als Coming-of-Age Geschichten mit hohem Fantasy-Faktor in einer Reihe zu nennen sind mit Harry Potter und den Chroniken von Narnia ist die, dass es unzählige Welten parallel in unserem Universum gibt, die aber nichts voneinander wissen. Die Passage zwischen den Welten zu finden ist eine Herausforderung für die Charaktere und in Buch 2 und 3 ergötzt sich der Autor immer mehr an der phantastischen Ausgestaltung von Welten, die so ganz anders sind als unsere.

Da erinnert man sich gerne an die spielerische Kreativität von Star WarsErfindern, die auch keine Grenzen der Möglichkeiten für die erfunden Kreaturen zu finden schienen.

Das Besondere an der Welt, in der die Protagonistin Lyra lebt, ist die, dass alle Menschen mit einem „Dämon“ geboren werden. Das ist sowas wie die Seele in einer beliebigen Tiergestalt, mit der der Mensch in inniger Liebe verbunden ist. Für die Kinder ist die Gestalt der Dämonen noch nicht festgelegt, sie können sich wandeln, ab der Pubertät nehmen sie dann eine feste Form an.

Zugegebenermaßen kann es ein bisschen plump daherkommen, wenn die Bad Guys dann Schlangen, Ratten oder Raben als Dämonen haben. An einer Stelle wird es auch diskutiert, dass man sich nicht wünschen kann, einen beeindruckenden Dämon zu haben. Auf jeden Fall ist hier die Möglichkeit zur optischen Ausmalung praktisch vorgegeben, wenn zwischen den Personen Tiere in allen Formen herumwuseln.

Der Goldene Kompass und Staub

Zwei Mysterien durchziehen die Handlung wie ein roter Faden. Lyra ist offensichtlich dazu bestimmt, den Goldenen Kompass zu besitzen. Intuitiv lernt sie, ihn zu bedienen und kann aus seinen symbolischen Weissagungen in brenzligen Situationen die richtigen Antworten lesen.

Staub ist ein geheimnisvolles Material, das Lord Asriel in den Nordlichtern entdeckt hat. Es bedeckt auch die Menschen wie eine unsichtbare Schicht. Das Magisterium glaubt, dass es sich um die materielle Form der Erbsünde handelt, Lord Asriel sieht darin den Schlüssel für das Tor in andere Welten.

Grausame Experimente mit Kindern

Eigentlich hätte das Konzept von Menschen mit Tierdämonen das Material sein können für eine fantasievolle und freundliche Märchenwelt, ähnlich wie die Chroniken von Narnia. Aber das war nicht Pullmans Idee. Mrs Coulter betreibt in der Arktis eine geheimnisvolle Station, in der sie verbotene Experimente an Kindern durchführt. Die Atmosphäre dort hat den ganzen Charme eines Nazi-Konzentrationslagers, komplett mit grauen Stahlwänden und Kindern in schlammfarbenen Einheitsuniformen.

Das Ganze erhält noch eine Steigerung durch die spektakuläre Performance von Ruth Wilson. Schon seit Längerem scheint sie im britischen Fernsehen auf zwielichtige und psychopathische Frauenfiguren spezialisiert zu sein (Luther, The Prisoner). Sie fährt das volle Arsenal ihrer Wandelbarkeit auf, wenn ihre riesigen eisblauen Augen sich mit Tränen füllen, nur um kurz darauf in eiskalter Erstarrung als Befehlshaberin von gesichtslosen Söldnern den Mord an Kindern zu befehlen.

Ruth Wilson macht die Darstellung der Mrs. Coulter von Nicole Kidman vergessen.

Ruth Wilson in His Dark Materials Staffel 1

Die besten Szenen entstehen zwischen ihr und der nicht weniger großartigen Kinderschauspielerin Dafne Keen. Diese spielt mit einer so glaubwürdigen Intensität, dass man nicht einen Moment an der Wahrhaftigkeit ihres Schmerzes als verstoßenes Kind zu zweifeln hat.

Das Konzept, Kinder unwiderruflich zu verkrüppeln, dass willenlose Zombies entstehen, also perfekte Befehlsempfänger und Soldaten, ist gnadenlos und wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass His Dark Materials nicht unbedingt die erste Wahl ist, wenn man Kindern und Jugendlichen eine unterhaltsame Lektüre bzw. Serie empfiehlt.

Hervorragende Nebenfiguren und makellose CGI-Figuren

Die positive Ersatzmutterfigur für Lyra verkörpert Anne-Marie Duff als Ma Costa, die im Wechselspiel zwischen Zuneigung und Schmerz über den verlorenen Sohn ihr ganzes Können zeigen kann. Als amerikanischer Revolverheld und Globetrotter, der im Ballon unterwegs ist, hat man den in Amerika außerordentlich populären Lin-Manuel Miranda (Hamilton) gecastet. Klasse, dass man sich für einen Schauspieler mit hispanischem Hintergrund entschlossen hat!

Überhaupt scheint diese Co-Produktion von BBC und HBO hier ein Statement für eine rassenübergreifende Gesellschaft zu machen. Sowohl die Gypter, eine Version von Sinti und Roma, sind ein im sprichwörtlichsten Sinne ein buntgemischtes Völkchen, das Oberhaupt des Colleges, das wohl Oxford darstellen soll, ist schwarz und auch in Will’s Welt, die unsere aktuelle Welt repräsentiert, zeigt sich eine bunte Durchmischung, wie sie in London, USA und auch Deutschland heute tatsächlich so zu finden ist.

Eine weitere wichtige Figur ist Iorek Byrnison, der in Ungnade gefallene Panzerbär. Er und Lyra werden ein ungleiches Paar, das sich gegenseitig hilft und rettet. Die Ritte durch die Schneewüste der Arktis auf dem Rücken des Bären sind nicht minder glorreich wie Harry Potters Ritt auf dem geflügelten Testral.

Makellos: Das CGI überzeugt auf ganzer Linie.

Eisbär in einem Szenenbild aus His Dark Materials

Zwei Welten – zwei Handlungsstränge

Im Gegensatz zu dem Film Der Goldene Kompass wird hier ein zweiter Handlungsstrang in die Haupthandlung eingebaut, der als Parallelhandlung bis ganz zum Schluss nebenherläuft. Offensichtlich hat ein Magisteriummitarbeiter (Ariyon Bakare) einen geheimen Durchgang zwischen Lyras Welt und unserer Welt entdeckt. In dieser Handlung steht der junge Will (Amir Wilson) im Mittelpunkt, der mit seiner Mutter (Nina Sosanya) lebt, denn sein Vater (Andrew Scott) ist vor Jahren bei einer Arktisexpedition verschwunden und gilt als tot. Die Mutter ist nervenkrank und so glaubt man ihr zunächst nicht, als ein geheimnisvoller schwarzer Mann auftaucht, aus dessen Anzug sich manchmal eine Schlange windet. Erst am Ende erfährt der Zuschauer in der allerletzten Szene, wie das Schicksal von Will und Lyra miteinander verbunden sind.

HBO und BBC-Serie auf gewohnt hohem Niveau

Man kann sich fragen, warum Pullmanns Bücher nie von dem Erfolg gekrönt waren, wie sie die Harry Potter oder Narnia Serie erfahren haben. Tatsächlich hat sie sich durch die unverhohlene Systemkritik an der Kirche und die Darstellung einer faschistischen Weltordnung auf ein Niveau begeben, das eher Erwachsene anspricht und wohl weniger von Lehrern und Buchhändlern empfohlen wird. Außerdem zeigen die weiteren Bücher gewisse Schwächen in der stringenten Handlung, sie sind meiner Meinung nach fast zu abgefahren für die meisten Leser, sodass man gegen Ende eher verwirrt zurückbleibt.

Obwohl sich die Handlung der aktuellen Serie ziemlich eng an die Buchvorlage hält, und das ja oft zum Scheitern verurteilt ist, weil ein Film selten die Phantasie des Lesers passend darstellen kann, sehe ich hier keine Mängel und Fehler. Man hätte die Interpretation noch ein wenig freier gestalten können, um bestimmte Punkte, wie die politischen und gesellschaftskritischen Aspekte besser herauszuarbeiten. Die Ausstattung ist aber hochwertig, die Animation von Landschaften und Figuren makellos – ein Grund warum die BBC das Projekt nicht allein stemmen konnte und Unterstützung beim Streaminganbieter suchen musste.

Fazit

8.4/10
Stark
Community-Rating: (2 Votes)
Handlung 9/10
Spannung 7/10
Schauspiel 10/10
Action 7/10
Visuelle Umsetzung 9/10
Details:
Showrunner: Jamie Childs, William McGregor,
FSK: 12 Epiosden: 8
Besetzung: Ariyon Bakare, Dafne Keen, James McAvoy, Kit Connor, Lucian Msamati, Ruth Wilson,

His Dark Materials ist HBOs neuer Fantasy-Epos

Vor allem aber überzeugen die gewählten Schauspieler mit Spielfreude und Können. Wer Spaß an den Phantastischen Tierwesen, Harry Potter, Hobbit und ähnlichen Phantasiewelten hatte, kommt hier auf seine Kosten. Kitsch ist kaum vorhanden, viele Szenen sind erfreulich düster, manchmal schon fast zu grausam, sodass kleineren Kindern hier abzuraten ist. Aber jedem ab ca. 12 mit einem Sinn für Realitätsfluchten sei diese Serie empfohlen. Der Schluss ist wunderbar offen mit einer sprichwörtlichen Tür, die weit offen steht für Teil 2 und 3.

Artikel vom 11. April 2020

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