9.0/10

Kritik: Better Call Saul – Staffel 2

GANZ UND GARNICHT LAHM

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Genres: Drama, Komödie, Startdatum: 16.02.2016

Interessante Fakten für…

  • Staffel 2 sollte ursprünglich 13 Episoden lang sein, wurde aber auf Wunsch der Produzenten auf 10 gekürzt.

Pff, warum sollte ich Saul anrufen? “Breaking Bad” ist vorbei. Ich bin weitergezogen. Sauls Nummer ist noch auf meinem alten Handy und das haben jetzt die Zombies von AMC gefressen. Wer ruft schon Saul an, wenn man stattdessen bei “The Walking Dead” und “Fear The Walking Dead” einschalten kann? Zombies sind sowieso cooler als Anwälte. Oder?

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#PotterUltra #SchwerMetaller #Storyteller

Darum geht’s

Seit Staffel eins befindet sich der quirlige Anwalt James „Jimmy“ McGill (Bob Odenkirk) in einer Identitätskrise. Auf der einen Seite will er ein angesehener und anständiger Anwalt werden, ganz seinem großen Bruders Chuck (Michael McKean) nachempfunden. Doch seine „dunkle“ Seite hält ihn davon ab. Jimmy ist einfach kein Engel der Justiz. In ihm schlummert das Verlangen Regeln zu brechen und Schlupflöcher zu buddeln.

Obwohl Jimmy das attraktive (aber spießige) Jobangebot von Anwaltskanzlei Davis & Main annimmt, scheint er so fehl am Platz zu sein wie ein Schimpanse in einem Sterne-Restaurant. Während alles um ihn herum fein nach Etikette das Essen zerkleinert, kann Jimmy nicht stillsitzen und wirft mit Messer und Gabel um sich. Ob jemand verletzt wird ist ihm egal; treffender ausgedrückt, es ist ihm einfach nicht bewusst.

Zeitgleich hat der knurrige Ex-Cop Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks) ein dickes Problem mit der hiesigen Drogenbande der Salamancas. Nachdem durch eine Verwicklung von Vorfällen sogar seine kleine Enkeltochter von der Gangster-Familie bedroht wird, ist für Mike der Geduldsfaden gerissen. Er will den Salamancas das Handwerk legen.

Die Sensationsgeilheit der Serien-Community

Das Spin-Off zum Meilenstein der TV-Geschichte Breaking Bad geht ziemlich unter. Die Einschaltquoten nehmen gegenüber der ersten Better Call Saul-Staffel stetig ab. Trotz hervorragender Pressestimmen scheinen einige Zuschauer der Serie nichts abgewinnen zu können. Woran liegt das denn?

Die Erklärung ist ziemlich leicht. Der Serie fehlt es an Exzess und Sensation. Es gibt kein Blut und keine unerwarteten Tode, es wird nicht gekämpft, nicht geballert und es gibt schon gar keine nackten Frauen. Das einzig nackte ist Jonathan Banks unförmiger Glatzkopf. Man könnte also fast meinen, dass in Better Call Saul kaum etwas passiert. Ein riesiger Trugschluss.

Eine subtile Charakterstudie

Wie schon beim großen Bruder Breaking Bad, stehen einzig und allein die Menschen im Vordergrund. Hier sehen wir ECHTE, und dennoch fiktive Charaktere. Niemand hat eine Schablonen-Persönlichkeit oder einen Alibi mäßigen „inneren Konflikt“. Bis in die kleinste Nebenrolle ist jede Figur greifbar, authentisch, ausgefeilt und einzigartig.

Schon die erste Staffel hat den Charakter von Jimmy McGill brillant eingeführt. Staffel zwei setzt noch einen drauf. Bob Odenkirk schafft es, einen vielschichtigen Protagonisten aufzubauen, der nie langweilt und stets umwerfend sympathisch ist. Egal wie verdreht Jimmys Rechtfertigungen für einige Taten am Rande des Gesetzes sein mögen: Der Zuschauer wird zu Jimmy. Schritt für Schritt konstruiert die Serie ein emphatisches Geflecht, dass uns sogar emotional mitreißt, wenn Jimmy seinen Kaffee verschüttet oder Stress im Kopiergeschäft hat.

Während Jimmys Freundin Kim Wexler (Rhea Seehorn) in der ersten Staffel eher in den Hintergrund rücken musste, bekommt sie in Runde zwei erstaunlich viel Screentime. Ihr Charakter wächst und harmoniert perfekt mit Odenkirk’s Performance. Kim ist gutmütig und aufrichtig. Immer wieder wird ihr Leben jedoch von Jimmy gelenkt; mal bewusst, mal unbewusst. Trotzdem gibt sie ihr Bestes um Jimmy auf der richtigen Bahn zu halten. Eine Vornahme, für die sie teuer bezahlen muss.

Kim und Bruder Chuck liefern sich ein sinngemäßes Tauziehen in Jimmys Kopf. Während Kim die ehrenwerte Seite Jimmys stärken will, verursacht Chuck eher das Gegenteil: Er gräbt den „Saul“ aus der bunten Garderobe von Jimmys Wandschrank.

Brüderrivalität

Chucks Vorbildfunktion für Jimmy ist zerbröckelt. In Staffel eins haben wir erfahren, dass sein großer Bruder ihm regelmäßig Steine in den Weg seiner Karriere gelegt hat. Jimmy ist seiner Auffassung unwürdig, ein echter Anwalt zu werden. Er sei ein „Affe mit Waffe“ und müsse kontrolliert werden. Jimmy, der sich mit Hingabe um seinen kranken Bruder kümmerte, ist dadurch natürlich am Boden zerstört.

Dieser Konflikt ist das zentrale Thema der Serie Better Call Saul. Natürlich sind wir loyal zu Jimmy. Doch die Genialität der Drehbuchautoren lässt kein Schwarz-Weiß-Denken zu. Immer wieder stehen wir als Zuschauer über dem Geschehen. Wir sind die juristische Instanz, die über den Köpfen der beiden Brüder schwebt. Einerseits wollen wir natürlich nur das beste für Jimmy. Andererseits wissen wir nur zu gut, dass Chuck, so zynisch es auch sein mag, Recht hat. Denn Jimmy wird zu Saul Goodman werden; das ist die einzige Gewissheit der Serie. Und dann trifft es in der Tat auch Unschuldige mit Querschlägern. Es ist eben ein wahrer „Konflikt“.

Chuck ist wohl einer der interessantesten „Gegenspieler“ der aktuellen TV-Landschaft. Erst zum bitteren Ende der ersten Staffel offenbart er sich als wahrer Antagonist der Serie. Doch diese Enthüllung wird in Staffel zwei konsequent weitergeführt. Auch wenn immer wieder die Zuneigung der beiden Brüder einen Weg zurück findet, setzen sie ihre Vorstellung mit eiserner Hand durch. Es folgt ein wahres Psychoduell. Jimmy und Chuck manipulieren, tricksen und schwindeln was das Zeug hält. Alles nur, weil jeder der bessere Anwalt sein will.

Diese kindisch erscheinende Fehde sitzt allerdings sehr tief. In mehreren Flashbacks sehen wir die Entstehung dieses unterschwelligen Streits. Auch wenn wir eher „genug“ als „viele“ Informationen über die Vergangenheit bekommen, hält die Serie dabei eine Taschenlampe in Chucks Gesicht, und zeigt uns, dass er in Wirklichkeit gar kein Monster ist.

Elektrisierende Spannung, nicht nur für Chuck unerträglich

Chucks mysteriöse Krankheit, die Allergie gegen Elektrizität, macht ihm auch in zweiten Staffel zu schaffen. Obwohl jedem mittlerweile klar sein sollte, dass Chuck psychisch schwerkrank ist, wird es in der Serie kaum zur Sprache gebracht. Wir als Zuschauer nehmen diese Ungewissheit einfach hin, genauso wie Jimmy.

In diesem Zusammenhang gibt es in der zweiten Staffelhälfte einige hochspannende Szenen. Auch hier wirkt die subtile Machart der Serie wahre Wunder. Wie intensiv kann eine Szene schon sein, in der sich ein alter Mann vor dem elektrischen Mikrofon in einem Gerichtssaal fürchtet? So intensiv wie Mord und Totschlag.

Showrunner Vince Gilligan, Thomas Schnauz und Peter Gould sitzen vor dem Stromgenerator, und drehen den Leistungsregler langsam aber kontinuierlich auf. Über die zehn Episoden steigt die unterschwellige Spannung. Doch sie scheint sich immer noch nicht komplett entladen zu wollen. Stattdessen wird, wie schon beim Finale der ersten Staffel, der Spannungsbogen auf das kommende Jahr übertragen.

Mike sorgt für Ecken und Kanten

Es geht nicht nur um Jimmy. Mike bekommt mindestens 40 Prozent der Serie für sich selbst. Hin und wieder überschneidet sich sein Handlungsstrang mit dem Anwalts-Drama. Doch mit Bürokratie will Mike eben so wenig zu tun haben wie Jimmy. Mike geht eigenständig auf Verbrecherjagd. Seine Auseinandersetzung mit den Salamancas erinnert stark an die alten Zeiten aus Breaking Bad (bzw. die zukünftigen Zeiten aus storytechnischer Sicht).

Während sich beim Handlungsstrang McGill und Co. niemand ernsthaft in Lebensgefahr befindet und Mord nicht zum Alltagsgeschäft gehört, sorgt Mikes Geschichte für einige willkommene Ecken und Kanten. Zwar erreichen Mikes Szenen nicht die Thriller-Effekte des Originals; sie sind trotzdem mächtig unterhaltsam.

Der stille Ex-Polizist mit den toten Augen ist nicht umsonst ein Fanliebling. Nach aussen eiskalt, nach innen jedoch lieber Opa, ist er ein vielschichtiger Charakter mit dem man sich leicht identifizieren kann.

Erzählerischer Minimalismus mit großartigem Effekt

Wie kreiert man so effektive Charaktere? Mit Sorgfalt und Geduld. Vince Gilligan lässt sich mit der Vorgeschichte von Saul Goodman alle Zeit der Welt. Er hat kein Problem damit, wenn eine Folge mal keine typische „Crowdpleaser“- Szene á la Cliffhanger, überraschende Wendung, Actionszene, usw. bereithält. Es scheint ihm sogar völlig zu sein. Er und sein Drehbuchautoren-Team geben der Geschichte soviel Freiraum, wie sie braucht. Das ist nicht nur seltsam, sondern auch ganz schön mutig. Heutzutage werden Serien immer größer, schneller und härter (z.B. Game of Thrones). Doch Gilligan denkt sich nur „Whatever“ und feilt weiter an seinen Dialogen.

Die winzigen Schritte der Handlung und der minimale Ausschlag an actionreichen Ereignissen werden von mir keinesfalls schön geredet. Sie haben einen deutlich spürbaren Effekt: Die Serie ist unglaublich involvierend; wenn man sich denn auf sie einlässt. Alles was passiert ist interessant. Wenn Jimmys Fernsehwerbespots seinen Boss Cliff (Ed Begley Jr.) zur Weißglut bringen, oder Jimmy einen nerdigen Drogendealer aus dem Würgegriff der Detectives befreien muss, dann ist das genauso intensiv wie eine Zeitbombe in einem Mission Impossible Film. Es kommt eben nicht auf das „Was passiert?“ an, sondern viel mehr auf das „Wie wird es inszeniert?“. Timing und Umsetzung ist alles. q.e.d

Fazit

9/10
Sehr Gut
Community-Rating: (4 Votes)
Handlung 9/10
Spannung 8/10
Humor 8.5/10
Schauspieler 9.5/10
Dialoge 10/10
Details:
Showrunner: Peter Gould, Vince Gilligan,
FSK: 16 Epiosden: 10
Besetzung: Bob Odenkirk, Jonathan Banks, Michael Mando, Michael McKean, Patrick Fabian, Rhea Seehorn,

Die Serie ist nicht einfach nur ein billiges Spin-Off, das auf den Hype-Zug von Breaking Bad aufzuspringen wollte. Das ist ihr auch überhaupt nicht gelungen. Stattdessen bekommen wir ein Format, dass aus der künstlerischen Perspektive genauso wertvoll ist wie das Heisenberg-Epos. Natürlich gibt es uns nicht den massiven Unterhaltungsfaktor, den wir von Breaking Bad gewohnt waren; dennoch begeistert die Serie leise. Absolut stilsicher und sorgfältig geschrieben, nimmt die zweite Staffel Better Call Saul weiterhin Kurs gen Saul Goodmans Taufe. Wer sich erhofft, dass Staffel zwei etwas actionreicher als Staffel eins ausfällt, der wird enttäuscht. Stattdessen wirken diese zehn Episoden noch stilsicherer und sorgfältiger geschrieben als die vorherigen. Wer meint, dass kaum etwas passiert, der täuscht sich gewaltig. Mit genauerem Hinsehen entfalten sich die meisterhaften Charakterdarstellungen und subtilen Konflikte zu einem riesigen emotionalen Komplex. Niemand hätte wohl gedacht, dass ein kommerziell begründeter Breaking Bad Ableger ausgerechnet diese Kerbe einschlägt. Für diesen Mut verdienen die Showrunner Vince Gilligan, Thomas Schnauz und Peter Gould den größten Respekt. Die Fans der Serie dürfen sich dazu noch auf eine 3. Staffel Better Call Saul freuen. Thumbs Up!

Artikel vom 20. April 2016

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