Kritik: Atomic Blonde
WASSERSTOFFBLONDE BOMBE
Jetzt direkt streamen auf:
WASSERSTOFFBLONDE BOMBE
Jetzt direkt streamen auf:
In Atomic Blonde wird die britische Geheimagentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) mit einem brenzligen Auftrag nach Westberlin geschickt: Ihre Mission besteht darin, in Zusammenarbeit mit dem Agenten David Percival (James McAvoy) eine Liste sicherzustellen, die die Identität diverser britischer Agenten umfasst. Blöd nur, dass diese verschollen ist, seitdem Lorraines Kollege und Liebhaber James Gascoigne (Sam Hargrave) ermordet wurde. Noch blöder: Auch die russische Seite zeigt reges Interesse an der Agenten-Datei. Was folgt ist ein fast zweistündiges Gehaue, Gehacke und Gerangel im nostalgischen Neonlicht eines geteilten Berlins, das soeben dabei ist, die Fesseln der sozialistischen Diktatur abzulegen. Oben drauf ist es beißend kalt, wie der Titel der Graphic Novel The Coldest Winter* – auf der der Film basiert – bereits erahnen lässt.
Tatsächlich lässt sich Atomic Blonde mit dem Prädikat „Graphic“ recht gut beschreiben. Denn der Fokus des Filmes liegt nicht auf der Story – sozusagen der „Novel“ – sondern auf der visuellen Umsetzung. So fängt die Kamera von Jonathan Sela sorgsam inszenierte Bilder ein, die meist in pulsierendes Neonlicht – vorzugsweiße blau und pink – getaucht sind. Auch dem Stil und Flair der Neunziger wird der Thriller besonders gerecht und zeichnet das Bild eines Berlins, das zwischen Hedonismus und Sozialismus hin und her gerissen ist. Abgerundet wird das Ambiente durch einen poppigen Neunziger-Soundtrack, dessen Remix von Nenas 99-Luftballons zudem eine gewollte Komik bereithält.
Ein weiteres Plus sind die penibel inszenierten Action-Sequenzen, bei denen sich auszahlt, dass Regisseur David Leitch den Großteil seiner Filmkarriere als Stuntman verbrachte. Gerade gegen Ende zeigt sein Film beeindruckend, wie Nahkampf-Szenen aussehen können: brachial, stumpf und erschöpfend. Dass dabei die Kamera in langen, nahezu ungeschnittenen Einstellungen um die Kämpfenden tänzelt, zieht den Zuschauer umso mehr in den Bann.
Diese virtuos choreografierten Szenen machen Spaß, was einerseits daran liegt, dass sich hier eine eigene Handschrift erkennen lässt. Das liegt aber auch an einer packenden Charlize Theron, die – so scheint es – Hollywoods erste Wahl ist, wenn eine harte Frau gesucht wird. Denn nach ihrer eindrucksvollen Performance in Mad Max: Fury Road darf Theron auch hier wieder ordentlich zulangen – aber auch sexy aussehen.
Doch gerade in dieser Sexyness verbirgt sich das Problem des Films. Zwar ist es erfreulich, dass eine weibliche Hauptfigur durch den Film führt, denn im männerdominierten Action-Genre ist das leider viel zu selten der Fall. Doch wie schon bei der viel diskutierten Comic-Verfilmung Wonder Woman, kann sich Hollywood nicht von seinen Männerphantasien lossagen: Statt eine Filmheldin einfach nur eine Filmheldin sein zu lassen, gibt es Lesbensex, Strapse und lüsternde Kameraschwenks, die von Therons Körper nicht genug bekommen können. Einen vielschichtigen Charakter bekommen wir aber nicht.
Okay, zugegeben: Ein wenig Sexyness an der richtigen Stelle ist ja auch ganz nett: Doch die lasziven Aufnahmen und Aufmachungen der Hauptdarstellerin fallen aus dem Kontext der Story und passen so gar nicht zu einer Agentin, die eigentlich damit beschäftigt ist, die Straßen Berlins mit (Männer-)Leichen zu pflastern. Schaut man den Trailer des Films an, der bereits in der ersten Einstellung den Körper der Hauptfigur feiert, so erhärtet sich der Verdacht, dass es sich hier um eine reine Marketing-Entscheidung handelt. Denn: Sex Sells.
Dazu kommt, dass weder die beinharte Action, noch eine erstklassige Theron darüber hinwegtäuschen können, dass sich der ganze Film von einer dünnen Story nährt. Hitzige Nahkämpfe und attraktive Kamerabilder machen die magere Kost zwar schmackhaft, doch letztendlich bleibt es dabei: Der Action-Thriller sieht besser aus als er ist.
Enttäuschend ist vor allem, dass es der Hauptfigur Lorraine vollkommen an einer Backstory fehlt. Ihre persönliche Motivation wird nicht klar. Und sollte diese lediglich in patriotischer Pflichterfüllung bestehen, dann ist das erstens langweilig und zweitens nicht eingeführt. Zwar versuchen die Macher dem entgegenzusteuern und führen die französische Grünschnabel-Agentin Delphine (Sofia Boutella: Star Trek: Beyond) ein, die mit ihren lieblichen Kulleraugen selbst die verschlossene Lorraine bezirzen kann. Doch der Versuch, der Hauptfigur Lorraine einen emotionalen Kern zu verleihen, geht in einer leidenschaftlichen Flut gieriger Kamerabilder und ästhetisch in Szene gesetzten Liebesakten unter.
Artikel vom 16. Juli 2017