Kritik: Die letzte Fahrt der Demeter
SEEFAHRT MIT SARG
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Die Demeter sticht in See! Von Rumänien aus soll Kapitän Elliot (Liam Cunningham) das Schiff sicher nach London führen. Eine routinierte Fahrt für den Captain, Schiffsarzt Clemens (Corey Hawkins) und die Crew, die außerdem auf eine stattliche Prämie hoffen dürfen, welche ein anonymer Auftraggeber für den Transport einiger mysteriöser Holzkisten bezahlt hat. Die Kisten sind mit dem Zeichen eines Drachen bedruckt, aus den Ecken rieselt krümelige Erde und bereits in der ersten Nacht öffnet sich eine Kiste und ein erstes Crewmitglied verschwindet. Auf hoher See findet die Crew dann die ersten Opfer mit Bissspuren am Hals und erinnert sich an die Warnungen der rumänischen Bevölkerung vor einem mächtigen Monster…
Egal ob nun Barbie oder Oppenheimer, auf eines können wir uns doch wohl alle einigen: Der erfolgreichste Film des Jahres wird auf jeden Fall ein Stand-Alone-Werk und das ist ein Grund zum Feiern! Das seit Jahren fast eiserne Gesetz, dass vor allem Sequels und Franchise-Episoden zum Erfolg führen, wurde im Jahr 2023 auf kolossale Weise gebrochen. Doch wäre es verfrüht, die Rückkehr der Originalität und Kreativität zu feiern – auf Hollywoods Resterampe lagern noch Kilometer von Film. Das klassische Sequel (direkt an die Handlung des Vorgängers anschließend) ist natürlich ein alter Hut, mittlerweile auch das Reboot. Auch die zunächst spannenden Spin-Offs und Origin-Stories sind längst zur Pflichtübung alteingesessener Filmreihen geworden.
Doch der Trend geht weiter und produziert Filme „nach denen niemand gefragt hat“, wie böse Zungen witzeln. Das Star Wars-Universum wird bis in den hintersten Winkel nach Figuren ausgefegt, die Rocky-Saga dreht sich mittlerweile um seinen Kontrahenten Creed, die Minions, als lustige Sidekicks erdacht, hampeln immer noch aktiv durch die Filmwelt. Es gilt: Wenn es irgendwie mit einem erfolgreichen Original zusammenhängt, ist es verfilmbar! Die Fanfictionisierung ist in vollem Gange. Und nach Renfield wird nun schon wieder der Dracula-Stoff ausgeschüttelt, um zu sehen ob sich irgendwo zwischen den Seiten noch Unerzähltes verbirgt.
So fiel die Wahl nun auf das Kapitel The Captain’s Log, welches in bisherigen Verfilmungen zwar stattfand, jedoch das blieb, was die Romanvorlage vorsah – ein Kapitel, eine Episode, ein Transit, der Draculas Schloss und sein Reiseziel verbindet. Ob die Seereise mit Sarg einen Kinofilm tragen kann, darf bezweifelt werden. Derartige Sideplots klingen eher nach Direct-To-Video als Popcorn-Momenten. Stimmung und angenehmer Grusel steigt trotzdem auf.
Das Schiff knarrt im Jahr 1897 vor sich hin und Petroleumlampen erhellen gerade genug, um die schlotternden Gesichter zu sehen. Der Vampirfürst selbst ist, nachdem er sich aus dem sehr stimmungsvoll gestalteten Sarg entstiegen ist, scheußlich-schön anzuschauen. Orientiert an den deutschen Interpretationen der Figur windet sich der blass-dürre Blut-Unterernährte über die Bohlen des Dreimasters. Der Vampir verbreitet Schock und Schrecken, die mit stimmungsvoller Maske und Practical Effects umgesetzten Morde machen auf erschütternde Weise bewusst, welche Urangst darin steckt, ausgesaugt zu werden. Dracula tötet nicht einfach, er frisst oder meuchelt nicht – er fängt ein Lebewesen und trinkt das Blut. Wahre Albtraummomente, die einen fragen lassen, ob man kommende Nacht gut schlafen wird. Doch so verängstigend das ist, man wird doch das Gefühl nicht los, um einen wirklichen Dracula betrogen worden zu sein.
Wer ist Dracula? Ein Blutsauger, Verführer, Burgherr, Tyrann, Pestbringer, mal in Gestalt einer Fledermaus, eines Nebels oder Wolfs. Doch vor allem ist er der Vampir. Nicht ein Vampir, sondern der oberste, mächtigste, ikonischste Vampir aller Zeiten. Und genau dieser Dracula, dieser blass geschminkte Charmeur im schwarz-roten Cape, kommt in André Øvredals Film zu kurz. Der Wüterich der Demeter ist ein ausgemergeltes, spitzohriges Monster, welches der Crew an den Hals will. Doch wirkliche nachhaltige Momente gelingen ihm nicht. Es gibt nichts, was diese Bestie mit dem Erbe vom Grafen verbindet. Bezeichnend, dass der Name „Dracula“ im Film nur einmal beiläufig fällt, ansonsten ist von einem Biest oder Monster die Rede. Als wäre er, wie andere Konsorten des Genres, lediglich „ein Zombie“, „eine Mumie“ oder „ein Werwolf“.
Der Drehbuchautor traf die seltsame Entscheidung, sich am Dracula-Mythos zu bedienen, ohne die leichtverdienten Früchte zu ernten, indem er die Geschichte klar im Erbe der Figur verortet. Statt beeindruckendem Wesen mit Wiedererkennungswert, metzelt sich ein beliebiger Vampir über Deck. Der Film ist ein netter Trip, der zwar zu schocken weiß, aber in seinem starren Setting eher an einen öden Kinderreim erinnert: neun Matrosen segeln durch die Nacht, als es wieder Tag wird, da waren’s nur noch acht…
Reboots, Spin-Offs oder Prequels können schlecht sein, doch eins sollten sie niemals tun – sich zu weit von der Vorlage entfernen. Schließlich ist es das, wofür Filmfans den Eintritt bezahlen. Die letzte Fahrt der Demeter stellt sich selbst ein Bein, indem der Film den legendären Vampirfürsten zur hüpfenden Kreatur mit langen Fingernägeln degradiert. Obwohl die blutigen Momente für Grummeln in der Magengegend sorgen, bleibt der Film insgesamt sehr blutleer. Der Ansatz, eine oft übersehene Episode der Kultfigur ins Zentrum zu rücken, ist interessant – es hätte nur vielleicht eine andere sein sollen.
Artikel vom 27. August 2023
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