Kritik: Licorice Pizza
EIN ZEITLOSER TRAUM
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San Francisco Valley 1973 – Jugendliche ziehen durch die sonnenbeschienenen Straßen, nostalgische Musik schwebt in der Luft und die Stars und Sternchen geben sich in den lokalen Restaurants die Klinke in die Hand – die Zeit wirkt wie eingefroren und es scheint, als wäre alles möglich.
Auch der 15-jährige Gary (Cooper Hoffmann) strebt nach dem großen Erfolg. Nach mehreren Rollen als Kinderdarsteller gründet der Jugendliche kurzerhand eine eigene Firma und jagt einer Geschäftsgelegenheit nach der anderen hinterher. An einem mangelt es dem selfmade-Unternehmer dabei kaum: an Selbstbewusstsein. So traut er sich auch die zehn Jahre ältere Alana (Alana Haim) während eines Fototermins bei seiner Highschool nach einem Date zu fragen. Alana gibt ihm zwar einen Korb, bevor er das Wort “Date” überhaupt aussprechen kann, doch Garys unerschütterte Selbstsicherheit fasziniert sie. Bald entsteht eine Freundschaft zwischen dem ungleichen Paar und beide schlagen sich gemeinsam durch die vielen Stationen des Lebens an der kalifornischen Küste.
Wenn man den Finger auf einen verbindenden Punkt in Paul Thomas Andersons Filmografie legen müsste, dann wäre das der Blick in die Vergangenheit. Über die Jahre entführte uns der Regisseur bereits ins Ölgeschäft um 1900, in die Pornoindustrie der frühen 80er oder in das Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg. Andersons Filme transportieren in verstrichene Zeiten, die nicht nur als Setting dienen, sondern seine Filme und dessen Handlungen wie eigene Figuren durchdringen.
Doch trotz der Vielfalt an Zeitabschnitten, die er im Laufe seiner Karriere auf die Leinwand brachte, kehrte der Regisseur immer wieder zu einem bestimmten Jahrzehnt zurück: den 70ern. Schon der Anfang von Boogie Nights und besonders Inherent Vicewaren sowohl örtlich, als auch thematisch eng mit dem Jahrzehnt verbunden. Die Handlung wurde immer wieder vom Zeitgeschehen beeinflusst und die Figuren waren Vorzeigeprodukte ihrer Zeit. Mit Licorice Pizza reist Anderson nun erneut zurück in die 70er und lässt sich stärker in die Nostalgie vergangener Zeiten fallen, als je zuvor.
Licorice Pizza stellt keine Themen wie Geldgier oder Macht in den Vordergrund, sondern konzentriert sich vollständig auf sein Setting und die Figuren darin. Durch sanft, liebevolle Tonalität und malerische Bilder badet der Film in seiner Atmosphäre und erschafft eine Version der 70er, die sich wie ein warmer Traum der Vergangenheit anfühlt. Wundern tut dieser Ansatz nicht – Anderson wuchs selbst im San Francisco Valley der 70er auf. Mit Licorice Pizza schafft er sich ein persönliches Nostalgie-Erinnerungsstück an die eigene Vergangenheit.
Diese Beschreibung kann für ein Déjà-vu sorgen, denn Andersons nostalgischer Liebesbrief weckt zu Recht Assoziationen zu Once Upon a Time in Hollywood. Besonders die Handlungsstruktur erinnert oft Tarantinos eigenen Nostalgietrip. Ähnlich wie bei Cliff Booth und Rick Dalton, folgt die Geschichte Alana und Gary und zeigt die Entwicklung ihrer gemeinsamen Beziehung.
Diese Beziehung ist dabei das, was am nächsten an einen roten Faden innerhalb der Handlung herankommt. Ohne ein richtiges Ziel schwebt der Film von Szenerie zu Szenerie und lässt sich dabei alle Zeit der Welt. Diejenigen, die schon mit der versatzstückartigen Handlung von Once Upon a Time in Hollywood wenig anfangen konnte, werden mit Licorice Pizza ihre Probleme haben.
Wer nun denkt, dass der Film kaum mehr als eine 2,5-Stunden lange Einschlafhilfe ist, könnte allerdings mehr daneben liegen. Wer, sich auf die Erzählstruktur des Films und seine Welt einlässt, erlebt einige der abgefahrensten und witzigsten Situationen aus dem Kosmos der Hollywood Stars und Sternchen.
Licorice Pizza’s San Francisco Valley ist mit zahlreichen einzigartigen Figuren bevölkert, von denen eine schräger ist, als die andere. Sei es Leonardo Dicaprios Vater (wirklich!), der Wasserbetten verkauft oder betrunkene Filmstars, die in Motorrad-Stunts ihren Hals riskieren – Licorice Pizza zaubert eine verrückte Szene nach der anderen auf die Leinwand. Andersons fängt diese Momente in einer Traum-ähnlichen Ästhetik ein, die jedem schrägen Zwischenstopp auf Garys und Alanas Reise eine individuelle Atmosphäre verleiht und immer wieder aufs Neue überrascht.
Dabei sticht besonders der tatsächlich existierende Filmproduzent Jon Peters (Bradley Cooper) heraus. Der Ex-Friseur und Freund von Barbra Streisand hat zwar wenig Screentime, doch Bradley Cooper verkörpert die Rolle mit einem entfesselten Wahnsinn, der den Film während seiner Auftritte vollkommen für sich beansprucht. In nur wenigen Minuten kreiert Cooper eine der wahnwitzigsten Nebenfiguren aller Zeiten, die den Zuschauer:innen keine eine einzige Atempause zwischen ihren Lachkrämpfen gönnt. Allein dafür sollte man Licorice Pizza schon auf keinen Fall verpassen.
Doch trotz der Vielfalt und Kreativität der einzelnen Versatzstücke, würde Licorice Pizzaohne die beiden fantastischen Protagonist:innen auseinanderbrechen. Die Freundschaft zwischen Gary und Alana ist das, was die Film-Pizza schlussendlich doch über eine reine Nostalgiereise heraushebt. Eingebettet in dem zeitlos wirkenden Standbild der 70er Jahre erzählt der Film von der komplexen Beziehung zweier grundverschiedener Menschen: Der Eine blickt voller naivem Optimismus auf die Welt, während die Andere das Gefühl hat, nur noch im eigenen Leben festzustecken. Beide bewundern einander aus verschiedenen Gründen, wodurch eine lebendige und einzigartige Dynamik entsteht, die Licorice Pizzadie notwendige emotionale Mitte verleiht.
Alana Haim und Cooper Hoffmann füllen dabei jeden Winkel ihrer komplexen Figuren aus, und tragen den Großteil des Filmes auf ihren Schulter, obwohl er für beide Darsteller:innen gerade mal die erste große Rolle darstellt. Besonders Alana Haim spielt ihre Namensvetterin mit einer Selbstsicherheit, von der man den Blick keine Sekunde lang lösen möchte. Wenn Haim und Cooper eine Szene teilen, dann sprüht Licorice Pizza vor Charme, Humor, Feinfühligkeit und Leben – diese Rollen sind mit Sicherheit erst der Anfang zweier großer Schauspielkarrieren.
“Findest du es komisch, dass ich immer mit Gary und seinen Freunden rumhänge? Ich finds komisch, dass ich immer mit Gary und seinen fünfzehnjährigen Freunden rumhänge.”
Alana in Licorice Pizza
Mit Licorice Pizza entfernt sich Paul Thomas Anderson von den ernsten Themen seiner jüngeren Filme und erzählt eine Geschichte, die mehr an seine frühen Werke wie Boogie Nights erinnert. Eingebettet in ein detailverliebtes und atmosphärisches 70er-Jahre Setting erzählt Anderson eine komplexe und außergewöhnliche Coming-of-Age-Story, die leichtfüßig durch die Zeitgeschichte schwebt. Im Nachhinein fühlt sich der Film ein bisschen wie ein warmer Traum voller verschiedener Eindrücke, Emotionen und Bildern an. Zahllose Empfindungen und Momentaufnahmen, die zwar nicht alle durch einen kohärenten roten Faden verknüpft sind, doch im Gesamtbild zu einer wunderschönen Geschichte zusammenfinden.
Artikel vom 2. Februar 2022
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