Kritik: Sieben Minuten nach Mitternacht
WENN GROOT WORTGEWANDT UND TRAURIG WÄRE…
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WENN GROOT WORTGEWANDT UND TRAURIG WÄRE…
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Gar nicht märchenhaft – Genauso sieht Conor’s (Lewis MacDougall) Leben aus. Seine Mutter (Felicity Jones) hat Krebs im Endstadium, eine Tatsache, die Conor nicht erträgt. Da es ihr immer schlechter geht, droht das Leben ihm, zu seiner strengen Großmutter (Sigourney Weaver: Alien-Filmreihe) ziehen zu müssen, mit der er sich nicht verträgt. Sein Vater (Toby Kebbell) hat ihn und seine Mutter nämlich lange zuvor verlassen und in L.A. eine neue Familie gegründet. Conor distanziert sich immer mehr von seinem Umfeld und ist an seiner Schule ein Außenseiter, dem Harry (James Melville) und seine Bande regelmäßig auflauern. Lediglich das Zeichnen hilft ihm, über die Zeit hinwegzukommen.
Doch je verzweifelter Conor wird, umso mysteriöser werden die Umstände: Albtraumhafte Visionen plagen ihn, in welchen seine Mutter in einen sich auftuenden Abgrund stürzt. Doch das Unglaubliche geschieht, als eines Nachts, exakt sieben Minuten nach Mitternacht, mit tosendem Grollen Die Eibe am Friedhof neben dem Haus zum Leben erwacht. Die Eibe verwandelt sich in ein riesiges Baummonster (Originalstimme: Liam Neeson: Silence, Star Wars), das Conor offenbar nur allzu gut kennt. Es erzählt Conor Geschichten, wodurch die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschmelzen…
Man kennt es schon zu Genüge: Ein Junge, der sich als Außenseiter fühlt, bekommt einen übernatürlichen Freund, durch dessen Hilfe er seine Probleme überwindet. E.T. – Der Außerirdische und der Gigant aus dem All sind nur zwei Beispiele dafür. Und von dem Trailer ausgehend kann der Zuschauer leicht ein ähnliches Konzept erwarten und womöglich seine Kinder in den Film mitnehmen. Doch genau hier liegt der Fehler, denn dieser Film ist keineswegs ein aufmunterndes Fantasy-Märchen. Es ist ein Drama, dass eine gewisse Reife erfordert, um das gesamte Ausmaß zu verstehen. Die FSK 12 Freigabe ist mehr als gerechtfertigt.
Dass es sich bei dem Baummonster nicht um einen gewöhnlichen Monsterfreund handelt, wird ersichtlich, nachdem es zum ersten Mal den Mund aufmacht. Nicht umsonst wurde explizit Liam Neeson für diese Rolle ausgewählt. Das Monster ist sowohl unheimlich, als auch respekteinflößend, weise und erstaunlich menschlich. Seine Dialoge sind durchdacht und verändern die Wahrnehmung sowohl von Conor, als auch vom Zuschauer. Schnell zieht es einen in seinen magischen Bann. Man will einfach wissen, was dieses Baumwesen zu sagen hat, denn die Dialoge der Darsteller fallen, im Gegensatz zur beeindruckenden schauspielerischen Leistung, recht gewöhnlich aus.
Schon früh stellt sich die Frage, wie viel Fantasy in diesem Film drinsteckt, denn die Übergänge zwischen Realität und Märchen sind fließend. Der interessierte Zuschauer wird nach Hinweisen suchen, wie er diesen Film zu deuten hat, wenn das Monster in seiner CGI-Pracht auftaucht und das bis dato triste und realistische Setting zerstört, nur um dann wieder spurlos zu verschwinden. Der Widerspruch ist ein besonderes Merkmal des Filmes und vor allem die Geschichten, die das Monster erzählt, zeichnen sich durch einen einzigartigen Animationsstil aus, die an Aquarellbilder erinnern und einen extremen Kontrast zur realen Welt bilden. Jede Geschichte rechtfertigt einen eigenhändigen Handlungsstrang und ist eng mit Conors Realität verbunden. Denn obwohl die Handlung nicht frei von stereotypischen und gelegentlich vorhersehbaren Elementen ist: diese unerwarteten Geschichten gleichen es wieder aus.
Trotz des visuellen Eindrucks ist es erstaunlich, welch untergeordnete Rolle Fantasyelemente tatsächlich im Film haben (abhängig davon, wie man es interpretiert). In erster Linie ist es ein emotionales Psychodrama. Und vor allem Emotionen werden großgeschrieben. Allein schon die trübe Atmosphäre trägt zur Melancholie und dem Gefühl der Verlassenheit aus, die Conor empfindet. Wir durchleben den Schmerz zusammen mit Conor in all seinen (selbst-)zerstörerischen Facetten, ohne die Angelegenheit zu verharmlosen, oder auf oberflächliche Gut-Böse-Ansichten zurückzugreifen. Was folgt ist eine traurige, aber eindringlich realitätsnahe Geschichte, bei der vor allem das Ende das ein oder andere Tränchen herrvorrufen wird. Ergreifend, magisch und aufrichtig ehrlich.
Der Trailer tut dem Film keinen Gefallen, denn hinter Sieben Minuten nach Mitternacht verbirgt sich eine unerwartet erwachsene Handlung über Verlust, Schuld und Schmerz. Mit metaphorischen Elementen und einer aufrichtigen Realitätsnähe wird eine ergreifende und emotionale Trauergeschichte erzählt. Durch den schmalen Grad zwischen Fantasy und Realität erfährt der Zuschauer Geschichten über Schein- und Sein, über Glauben und Hoffnung und schlussendlich über einen Jungen, der an seiner Realität zerbricht, aber gleichzeitig daran heranreift. Übrig bleibt das Gefühl eines anhaltenden Kinoerlebnisses, das niemanden kalt lässt.
Artikel vom 7. Mai 2017
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