Kommentar: Moderne Schwarz-Weiß-Filme
WAS IST SCHWARZ-WEISS?
WAS IST SCHWARZ-WEISS?
Schwarz-Weiß ist wieder angesagt. David Finchers Mank, der die Geschichte des Drehbuchautors Herman J. Mankiewicz (vermeintlich) der Zeit der Handlung entsprechend in schwarz-weiß erzählt, erhielt gerade erst die meisten Nominierungen bei den diesjährigen Oscars. Genauso vor drei Jahren Alfonso Cuaróns Roma. Anfang des Jahres war das schwarz-weiße Beziehungsdrama Malcolm & Marie in den sozialen Medien in aller Munde und lange an der Spitze der Netflix-Charts. Vorletztes Jahr noch waren Willem Dafoe und Robert Pattinson in Der Leuchtturm für eine Zeit die wichtigsten Leuchtturmwärter des Indiekinos.
Der Schwarz-Weiß-Film ist eigentlich eine technische Unzulänglichkeit aus den Anfangstagen des Kinos, als es noch nicht möglich, bzw. rentabel, war, in Farbe zu filmen. Modernes Kino in der heutigen Zeit kann doch längst Farbe und 3D, 4D, 5.1 und 8k – so die eine Sichtweise. Auf der anderen Seite stehen die Kunststudenten, die Bergmann und Tarkowski verehren und Filme erst dann gut finden, wenn sie mindestens Schwarz-Weiß und mit Untertiteln sind (ein kleiner Spaß, bitte nicht böse werden).
Doch ernsthaft: wieso wird im einundzwanzigsten Jahrhundert in S/W gefilmt? Seit Beginn der Filmgeschichte ist die möglichst naturgetreue Wiedergabe der Welt, wie wir sie ohne Kamera mit unseren Sinnen wahrnehmen, ein zunehmendes Gütekriterium für gelungenes Kunsthandwerk. Das Schauspiel im Film löste sich über die Jahrzehnte von dem überartikulierten und zwischen hölzern und expressionistisch agierenden Theater. Kulissen und Effekttechnik sind stets danach bestrebt, alles so real wie möglich aussehen zu lassen. (Ausnahmen gibt es natürlich in jedem Jahrzehnt.)
Dazu zählt eben auch die Farbe der Bilder. Schon früh erkannte man im Filmgeschäft die große Kraft des farbigen Bildes. So war zu Zeiten von Herman Mankiewicz, dem titelgebenden Helden von Mank, der Farbfilm zwar noch nicht der Standard, doch bereits ganz klar das Medium der Zukunft. Die großen Kinohits der späten 30er und frühen 40er, von Disneys Schneewittchen (1937) bis zu Vom Winde verweht (1939) waren wegweisend farbig.
Der schwarz-weiße Film ist ein Medium aus einer vergangen Zeit. Und genau das machen sich viele der Filme, die ihn ganz bewusst als Mittel einsetzen, zu nutze. Neben Mank (2020) spielen auch The Artist (2011) und Good Night, and Good Luck (2005) gerade mit der Inszenierung einer vergangenen Zeit und überholter medialer Strukturen. Der farblose Film wird selbst zum Marker der Zeit des Medienwandels, den die Filme abbilden wollen. Es soll hier eine Hommage an diese Zeit geschaffen werden, indem das Gefühl davon hervorgebracht wird, das wir heute als Nachgeborene davon haben.
Doch die meisten Filme, die S/W als Vergangenheitsmarker einsetzen, gehen dabei gar nicht so tief und nehmen es nicht so genau. So sind neben Der Leuchtturm (2019) auch etwa The Good German – In den Ruinen von Berlin (2006), Cold War (2018), Das weiße Band (2009), Blancanieves (2012), oder A field in England (2013) alle vor allem deshalb farblos, weil sie auch eine Zeit verweisen wollen, die halt “irgendwie lange her” ist.
Auf ähnliche Weise, aber noch viel mehr auf das moderne Publikum zugeschnitten sind da etwa Roma (2018) oder auch Control (2007). Hier funktioniert der Verweise auf frühere Zeiten nur auf den ersten Blick. Sobald man sich vor Augen führt, dass die Filme in den 70ern spielen, macht es keinen Sinn, dass sie in S/W sind. Zumindest im soeben herausgearbeiteten Sinne. Die 70er waren nicht Schwarz-Weiß, sondern ganz klar in Farbe – sowohl im Kino und wie in den meisten Ländern auch bereits im Fernsehen.
Der Einsatz von S/W zielt hier weniger auf die Zeit ab, sondern vielmehr wird versucht, eine ganz bestimmte Gefühlslage beim Zuschauer herzustellen. In beiden Fällen liegt wohl ein Ansatz des elegischen Erzählens durch filmischen Style vor. Oder anders: beide Filme haben aufgrund des S/W-Bildes eine gewisse Schwermut, oder etwas Wehmütiges.
Noch deutlich stärker liegt der Fokus auf Style bei z.B. Filmen wie Ana Lily Amirpours A Girl walks home alone at Night (2014) oder Robert Rodriguez Sin City (2005) sowie der Fortsetzung Sin City: A Dame to Kill For (2014); auch Tim Burtons Frankenweenie (2012) ist hier zu nennen. Dabei wird S/W jeweils in Anlehnung an bestimmte Genre-Traditionen verwendet: die Ursprünge des Vampirfilms, der Hardboiled-Detective-Krimi oder die Horrorkomödie.
Die nach jahrelangen Fanprotesten veröffentlichte Neufassung von Justice League ist noch keinen Monat alt, als bereits eine erneute Neufassung auftaucht: Justice League: Justice is Gray. Der gesamte Film, aber einfach nochmal komplett in Schwarz und Weiß. Eine Nachbehandlung, die in den letzten Jahren auch schon Parasite (2019), Logan – The Wolverine (2017) und Mad Max: Furyroad (2016) erhalten haben und die nochmal einen ganz andere Sichtweise auf S/W verdeutlicht.
Die Idee hinter der nachträglichen Entsättigung ist, dass dem Schwarz-Weiß-Film eine Art reinere, purere Ästhetik eigen ist. Kino, das durch die Reduktion allein eine zeitlose Qualität erhalten soll. In der S/W-Variante von Parasite floppt dieser Effekt eher. An einigen Stellen fällt leider auf, dass der Film eben doch als Farbfilm konzipiert wurde und sich nicht einfach so entsättigen lässt. Manchmal wirken die Bilder zu dunkel, manchmal nicht dunkel genug. Details gehen verloren, die Inszenierung wirkt an manchen Stellen sehr flach.
Logan Noir (2017) und Mad Max: Black & Chrome (2016) – so die Titel der farblosen Neuauflagen – hingegen sind eine wirklich sehenswerte Erfahrung. Das liegt zum einen sicher auch daran, dass derartige Action erstmalig in S/W zu sehen ist. Zum anderen ist hier allerdings eine gewisse zeitlose Eleganz zu bemerken, die die Filme gewinnen.
Ein letzter Aspekt, der in Verbindung mit schwarz-weißer Inszenierung erwähnt werden muss, ist die Gegenwärtigkeit der Filmhandlung. Sprich: Filme, die im Jetzt und Hier spielen und gleichzeitig in S/W sind – und auch von Beginn an so konzipiert worden sind. Die also nicht auf eine vergangene Zeit in der Handlung des Films verweisen wollen.
Die 90er haben Schwarz-Weiß spätestens als Stilmittel des Independent-Kinos zementiert. Moderne Klassiker wie La Haine (1995), Dead Man (1995), Man Bites Dog (1992) oder auch Clerks – Die Ladenhüter (1995) haben die Farblosigkeit als Fokusmechanismus des unabhängigen Films herausgearbeitet. (Eine Arbeitsweise, die sich auch wieder in die 80er und zu z.B. Jim Jarmusch zurückverfolgen lässt. Doch das führt jetzt zu weit.)
In dieser Indie-Tradition sind neben Malcolm & Marie (2021) auch Filme wie Frances Ha (2012), Oh Boy! (2012), Coffee and Cigarettes (2003) oder Don’s Plum (2001) zu sehen. Durch die Reduktion der visuellen Palette soll, neben dem gezielten Klassiker-Anstrich, ein Fokus auf das Psychologische der Handlung gelegt werden – doch natürlich nicht ausschließlich. So kokettiert etwa Malcolm & Marie lang und breit mit der visuellen Gestaltung und will lieber mit dem großen Schwarz-Weiß-Kino aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Reihe gesehen werden. Und z.B. Nebraska (2013) oder Angel-A (2013) schaffen ganz nebenbei in der Reduktion ganz große visuelle Kunst.
Was haben wir jetzt eigentlich gelernt? Die hier aufgestellte kleine Typographie des farblosen Films soll natürlich nicht vollständig und abschließend sein. Sprich: es gibt sicher viele Filme, die hier keine Erwähnung gefunden haben, verschiedene, filmische Strömungen, die noch ergänzt werden könnten und diverse Gründe, wieso S/W gefilmt wird. Wie eingangs gesagt, haben wir uns die Frage stellen wollen, was derzeit und in den letzten Jahren in S/W passiert ist. In jedem Fall können wir festhalten, dass überraschend viele, sehr sehenswerte Filme in schwarz-weiß erschienen sind, von denen wir viele dringend zum (Wieder-)Ansehen empfehlen.
Zum einen muss aber noch gesagt werden, dass die hier betrachtete Filmauswahl ein sehr westliche, bzw. anglo-zentristische ist. Dadurch sind etwa die Filme von Hong Sang-Soo, Lav Diaz oder Philippe Garrel, die alle drei ausgiebig in schwarz-weiß arbeiten, völlig unbeachtet geblieben. Zum anderen sei festgehalten, dass die Übersicht auch tatsächlich nur eine Übersicht ist. Sicher könnte man an fast allen Stellen noch seitenweise in die Tiefe gehen.
Artikel vom 9. April 2021
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