Darum geht’s:
Gene wird geschnappt und für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Geister der Vergangenheit lösen einen Konflikt in Gene/Saul/Jimmy/James aus, welche Persona nun vor Gericht sprechen darf.
Kritik:
Bob Odenkirk fragte Regisseur Peter Gould im Insider Podcast eine unangenehme Frage: Hatten die Autoren im Writers Room den Gedanken in Betracht gezogen, das Serienfinale “flashier” zu gestalten? Dramatische Tode, abgefeuerte Knarren oder explodierende Autos; schließlich wäre es in der Regal das, was Zuschauer von einem Serienfinale erwarten.
Zu meiner Überraschung gab Peter Gould zu, dass sie eben diese Sorge im Writers Room geteilt haben, sich eine “dramatischere” Zuspitzung der Ereignisse aber erzwungen angefühlt hätte. Gould vertraue den Fans der Serie, die Subtilität des Finales zu entschlüsseln und den emotionalen Impact zu spüren. Schließlich hatten sie eben jene Fans für über fünf Staffeln “trainiert”, Filme nicht nur zu schauen sondern zu sehen, mit einem Auge für Details.
Saul Gone entpuppt sich als 70 minütiger Goliath, die mit Abstand längste Folge des Breaking Bad-Universums, wenn man El Camino einmal außen vor lässt. Doch eben so wie jener Film über Jesses letztes Kapitel, fühlt sich Saul Gone wie ein eigenständiger Film an. Tatsächlich hat sich weder Breaking Bad noch Better Call Saul jemals so authentisch und cinematisch zugleich angefühlt.
Authentisch war das Werk von Gilligan und Co. schon immer, doch Saul Gone erweckt tatsächlich den Eindruck einer wahren Begebenheit, die sich vor ein paar Jahren in den USA genauso ereignet haben könnte.
Nach einer nicht einmal fünf Minuten langen Flucht wird Gene hinter Gitter gebracht und es entwickelt sich eine Gerichtsfolge, die, wenn man bedenkt, dass die Hauptcharaktere der Serie Anwälte sind, über den Verlauf der Serie extrem rar gesät waren. Chicanery lässt grüßen.
Nach ungefähr 30 Minuten wird uns dann mit einem Schlag klar, dass wir hier nicht das Finale von Better Call Saul schauen; wir schauen das Finale eines Serien-Zyklus’. Sobald Betsy Brand als Marie Schrader das erste Mal zu sehen ist, spuken die Geister aus Breaking Bad überall. Wer hätte schon gedacht, dass wir jetzt noch einen rührenden Abschluss für Hank Schraders Tod bekommen und er sich so nahtlos in die Rahmenhandlung einfügen wird?
Verwoben wird all das mit dem Motiv der drei Geister der Vergangenheit – eine Anlehnung an A Christmas Carol – , die Gene/Saul/Jimmy heimsuchen und nach seinem wahren Selbst graben. Das Thema ist ein einfaches Gedankenexperiment: Hättest du eine Zeitmaschine, was würdest du ändern?
Mike ist der erste Geist und er beurteilt Jimmys Plan, mit der Zeitmaschine einfach nur noch mehr Geld zu scheffeln, als nicht ehrlich. Walter deckt schließlich mit seinem Zynismus auf, dass das Gedankenexperiment, das Jimmy anscheinend für Jahre begleitet hatte, nur eine Metapher für Reue sei. Schließlich erklärt Chucks Cameo den Ursprung des Themas: ein Buch von H.G. Wells The Time Machine symbolisiert, dass Jimmy zu genau diesem Zeitpunkt zurückreisen würde, um alles zu ändern. Mit dem Charaktertod von Saul Goodman erlangt Jimmy diese Erkenntnis vor Gericht und legt ein Geständnis ab, das nicht nur die Strafverfolger zufriedenstellt, sondern auch Kim im Publikum.
Was für eine passende Wendung, dass Jimmy kurz vor Schluss die Introspektion erlangt und dabei Erlösung bekommt. Was für ein romantischer Liebesbeweis an Kim, dass ihm eine schlussendliche Versöhnung wichtiger ist als 79 Jahre der Freiheit? Vielleicht sollten wir nun lieber von einer vierten Persona reden, die in Jimmy erwacht ist, nämlich jene von James McGill, ein gereifter Jimmy, der Verantwortung für seine Taten übernimmt.
Eine beinahe meta-artige Szene im Gefängnisbus, in welcher die Gefangenen den Namen der Serie im “We Will Rock You”-Gewand einstimmen, inszeniert Saul Goodman als die Legende, die unsterblich ist: der Criminal Lawyer aus dem Fernsehen. Er ist einer von ihnen und nun teilen sie sich endlich ein Dach.
Daraufhin rollt die Folge langsam aus mit einem bittersüßen Wiedersehen zwischen Jimmy und Kim im Gefängnis. Die inzwischen ikonische Rauch-Szene aus der Tiefgarage – die allererste Interaktion zwischen Jimmy und Kim – erhält ein Encore und dieses Mal ist die noir-angehauchte Szene tatsächlich schwarz-weiß; bis auf die Glut der Zigarette, die symbolhaft in Farbe leuchtet.
Kim verlässt das Gefängnisgelände und der Anblick von Jimmy hinter einer Reihe an Zäunen ist herzzerreißend und tröstend zugleich. Obwohl er nie mehr seine Freiheit zurückerlangen und mit Kim zusammen sein wird, so wird sich sein Leben im Knast mit Sicherheit farbiger gestalten als seine Zeit in Omaha.
Fazit:
Nahtlos ist das Wort dieses Finales. Nahtlos werden hier zwei Stränge miteinander verwoben. Nahtlos wird ein Kreis geschlossen, der vor 14 Jahren begonnen und über elf Staffeln erzählt wurde. Es ist ein in jeder Hinsicht perfektes, würdiges und erhabenes Ende für eine der besten Serien aller Zeiten. Die Subtilität der Geschichte schwingt noch lange mit und man wird noch lange über das Ende von Jimmy und Kim nachdenken. Es ist bittersüß, befreit von Kitsch, und beinahe noch poetischer als das Ende von Breaking Bad. Vince Gilligan und Peter Gould haben erneut bewiesen, dass ein Serienfinale durchweg perfekt sein kann. Mir fällt es also sehr einfach, die dritte Höchstwertung für diese Staffel zu vergeben.
Bewertung: 10
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Szenen, die mir aufgefallen sind in dieser Episode: Wie kleinlaut Jimmy neben Kim wirkt vor dem Aufzug und speziell auf der Trauerfeier. Wie perplex er schaut als Kim nach all den Vorfällen Howard’s Witwe doch noch mal ausholt und diese Bullshit-Story vom Koksen erzählt.
Symbolcharakter hat auch die Frequenz, als Gus nach Hause zurück kehrt und wie befreit und entspannt er ist während er die Fensterläden öffnet.
Der weltgrößte Menschenfreund ist Gus Fring sicherlich nicht; umso verwunderlicher ist seine offene Umgänglichkeit mit dem Weinkellner. Dicke Zigarre, fleischiger und blutiger Geschmack des Weins….irgendwie scheinen diese Begriffe den Hühnermann zu triggern und bringen ihn anscheinend auf eine (neue) Idee, weswegen Gus Frings seinen als ganz persönlich angedachten Abend abrupt abricht.
Sechs Staffeln lang hat Gene im tristen und farblosen Omaha alte Werbespots auf VHS Kassetten angeguckt. Jetzt sind die VHS-Bänder völlig abgenudelt und abzuspielen gibt es auch nichts mehr. Jetzt wird in den record-modus gewechselt und ein neues Kapitel wird aufgezeichnet.