Kritik: Scenes from a Marriage – Staffel 1
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Mira (Jessica Chastain) und Jonathan (Oscar Isaac) scheinen glücklich verheiratet. Zumindest sind sie, oberflächlich betrachtet, die perfekte, moderne Familie: Mira ist erfolgreiche Geschäftsfrau und verdient “das große Geld”. Jonathan ist Halbtagsakademiker und Hausmann, der sich um Tochter Ava kümmert. Doch als die beiden an einer Umfrage von Jonathans Kollegin zu Ehestabilität und Zufriedenheit teilnehmen, beginnt etwas zu bröckeln und sich in die vermeintliche Idylle einzuschleichen…
Die Inszenierung von Scenes from a Marriage ist radikal reduziert und fast extremistisch in ihrer Simplizität. Die gesamte Handlung spielt im Haus der beiden Protagonist:innen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehen wir eigentlich nur Chastain und Isaac, die sich – unterschiedlich emotional, zu unterschiedlichen Zeiten – unterhalten. Über sich und ihre Beziehung. Mehr passiert nicht.
Mit jeder Episode geht ein gewisser Zeitsprung einher, sodass wir immer wieder ins Leben der beiden hereinschauen. Innerhalb der Folgen herrscht jedoch größtenteils perfekte Einheit von erzählter Zeit und Erzählzeit. Sprich, es gibt mehr als halbstündige Szenen, die Unterhaltungen in Echtzeit einfangen. Wem das zu anstrengend klingt, der sei getadelt, sich auch mal auf etwas einzulassen. Denn im Falle von Scenes from a Marriage wird das belohnt.
Wenn die Anlage der Serie erstmal sehr simpel klingt, bietet sich einem jedoch auf den zweiten Blick ein hochkomplexes, psychologisches Panorama einer Beziehung. Die Dialoge sind so exakt geschrieben und gespielt, dass es ein wahres Fest ist, die einzelnen Aussagen, Missverständnisse und nicht gesagten Subtexte zu verfolgen.
Die scheinbare Einfachheit der Serie beruht auf einer kunstfertigen Umsetzung. Die Kameraführung ist unaufdringlich, aber sehr präzise, es werden intimste Momente eingefangen, ohne dabei voyeuristisch zu werden oder aber Konsequenzen einzugehen. Scenes from a Marriage setzt in der Machart auf starken Realismus und Gefühl von Natürlichkeit. Es wird alles daran gesetzt, uns zu überzeugen, dass wir echten Menschen bei ihrem Leben zuschauen.
Außer an einer Stelle: Am Anfang jeder Folge wird die vierte Wand gebrochen, indem die ersten paar dutzend Sekunden lang Chastain und/oder Isaac gezeigt werden, die, umringt von Filmcrew am Set, durch Kulissen laufen, auf dem Weg zum Drehbeginn. Es hat schon fast etwas von Angeberei, dass Hagai Levi, der bei allen Folgen für die Regie verantwortlich zeichnet, derart stark die Gemachtheit des Gezeigten betont, dann aber immer innerhalb weniger Bilder bereits komplett vergessen macht, dass nichts was passiert echt ist.
Ob das aber wirklich notwendig ist, ist fraglich. Zusammen mit dem ungewöhnlichen Einstieg wirkt auch das Ende jeder Folge, das immer eher wie ein Einstieg wirkt, fast deplatziert. Es liegen dem intellektuelle Spielereien zugrunde, die sich in der restlichen Serie nicht finden und daher aufgesetzt wirken.
Ein ähnliches Experiment – zwei Schauspieler in Kammerspielkonstellation, die sich über ihre Beziehung streiten – hatte Malcolm & Marie (2021) Anfang des Jahres bereits gewagt. Jedoch hatte mich dort die stark zur Schau gestellte Belesenheit, das eitel und angeberisch wirkende Verweisen und das irritierend schlechte, angestrengte Schauspiel gestört. Scenes from a Marriage ist mehr oder weniger das perfekte Gegenteil. Hier wird fast schon zu sehr auf Naturalismus gesetzt. Es handelt sich auch um noch viel vollkommeneres Konversationsstück, in dem es nicht eine einzige Dialogzeile gibt, die geschrieben wäre, um dem Zuschauer etwas zu erklären. Die Serie ist frei von Exposition. Wir wissen nur, was die Figuren sich wörtlich mitteilen.
Auf der anderen Seite wirkt Scenes from a Marriage wie eine Ergänzung zu Noah Baumbachs Marriage Story (2019). Der ist in jedem Fall sehenswert (am meisten wegen Scarlett Johansson und der genialen Laura Dern!) und trifft einen auch ähnlich emotional hart. Doch hat Scenes from a Marriage dem Film gegenüber den Vorteil durch das längere Serienformat viel tiefer in die Figurenpsychologie und die Studie der Unterhaltung einzutauchen.
Durch tolles Schauspiel und eine ebensolche Inszenierung weiß Scenes from a Marriage sehr für sich einzunehmen. Hier werden die Mittel des filmischen Erzählens ganz großartig für eine konsequente, psychologische Studie von Liebe und Hass eingesetzt. Wenn es derart gut gemacht ist, dann kann man sich über das Unglück der Figuren fast nur freuen, weil es einem die Gelegenheit bietet, mitzuleiden und mitzufühlen. Unbedingt anschauen!
Artikel vom 19. November 2021
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