Kritik: The Umbrella Academy – Staffel 1
SUPERHELDEN MIT SUPERKOMPLEXEN
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Im Jahr 1989 gebären 43 Frauen überall auf der Welt urplötzlich ein Kind, ohne vorher schwanger gewesen zu sein. Der Milliardär Sir Reginald Hargreeves (Colm Feore) schafft es sieben von ihnen zu adoptieren und gründet die Umbrella Academy. Dort gibt er ihnen Nummern und bildet sie zu Superhelden aus, denn schon sehr früh offenbaren sie Superkräfte. Und so bekommt die Welt ein strahlendes Superhelden-Team – oder so scheint es zumindest…
Die Geschwister sind mittlerweile in ihren 30ern und von dem einstigen Team ist nichts mehr übrig. Einer ist tot, der andere verschwunden und der Rest hat sich schon lange voneinander entfremdet. Erst die Nachricht von dem plötzlichen Tod ihres Adoptivvaters bringt die Geschwister wieder zusammen. Während sie erneut mit schwierigen Momenten ihrer Vergangenheit konfrontiert werden, geschieht etwas noch Unglaublicheres: Der Verschollene “Nummer 5” (Aidan Gallagher) springt aus dem Nichts zu ihnen, keinen Tag älter als bei seinem Verschwinden. Dieser erläutert ihnen, dass er in eine postapokalyptische Zukunft gesprungen ist und dort Jahrzehnte verbracht hat – eine dystopische Zukunft, die in genau 8 Tagen ihren Anfang nimmt. Natürlich gilt es, die Welt zu retten – doch davor muss eine schwierigere Arbeit bewältigt werden: Die zerstrittene Truppe wieder zusammenzubringen.
Comic-Adaptionen haben schon seit einer Weile einen absoluten Höhepunkt erreicht. Alles, was in visueller Buchform veröffentlicht wurde, erhält heutzutage eine Verfilmung. Die beiden Comic-Giganten Marvel und DC sind so zuversichtlich mit ihren Werken, dass sie ihren Content in hauseigenen Streaming-Diensten veröffentlichen wollen – weshalb Anbieter wie Netflix künftig leer ausgehen werden. Die Absetzung der Defenders-Serien war bereits ein schlechtes Omen für Netflix. Doch die Heimkino-Plattform will den Superhelden-Flair nicht aufgeben und greift auf Comicverlagen zu, die deutlich unbekannter sind. Mit Dark Horse Comics erzeugt Netflix einen wahren Heldenboom.
Doch wie originell kann eine Serie über eine Schule für “Besondere” schon sein? Hatten uns nicht schon Dumbledore/Professor X/Miss. Peregrine bereits mit besonderen Individuen vertraut gemacht? Was wie ein altbewährtes Prinzip scheint, offenbart sehr bald seine Genialität. Die Serie ist nämlich eine Dekonstruktion klassischer Superhelden-Tropes: für die Öffentlichkeit wirkten sie wie klassische Helden, doch hinter den Türen mussten sie eine gnadenlose Ausbildung von ihrem despotischen Adoptivvater über sich ergehen lassen. Spätestens im Erwachsenenalter wird klar, wie sehr ihnen ihre Vergangenheit geschadet hat.
Die Heldengeschwister sind emotional gestörte Individuen mit tonnenweise Problemen – oder kurz: die absoluten Sympathieträger. Tatsächlich erlebt man selten, dass Hauptcharaktere sowohl alleine als auch bei der Interaktion miteinander so hervorragend funktionieren. Die Chemie ist perfekt, auch wenn es vor allem anfangs heiß hergeht. Seien es nun Luther, der sich ein wenig Quality Time mit seiner entfremdeten Familie erhofft oder Diego, der nur die Gewissheit über den Tod seines ihm verhassten Vaters erlangen will – die Gemüter sind klar erhitzt. Hinzu kommen noch Allison mit ihren eigenen familiären Problemen, Vanya, die sich nie zu ihrer Familie zugehörig gefühlt hat und der sorglose Klaus, der sich lieber zudröhnt als sich seinen Problemen zu stellen. Eine friedliche Familienzusammenkunft sieht anders aus – und genau das gibt den Protagonisten auch ihre emotionale Tiefe.
Doch der klare Favorit ist Nummer 5. Der 15-jährige Aidan Gallagher schafft es überzeugend einen schroffen und arroganten alten Mann darzustellen. Die Mimik, die Verhaltensweisen, alles stimmt. Sein Handlungsstrang ist auch der interessanteste, weil er den roten Faden bildet, der nach und nach die zerstrittenen Familienmitglieder mit einspannt. Anfangs noch agiert er alleine, doch die anderen Charaktere werden unfreiwillig mit hineingezogen ins surreale Geschehen. Zwar dauert es eine Weile, bis sich alle der Weltuntergangsproblematik bewusst werden – zumal Nr.5 selbst nicht der größte Teamplayer ist – doch die Familiendynamik selbst macht das Zentrum der Handlung aus. Die Handlung zieht sich in der Mitte etwas hin, doch sie wirkt zu keinem Zeitpunkt träge und selbst das Warten wird sich in den letzten Episoden mehr als auszahlen.
Die Zeiten sind vorbei, als man sich noch vor der Originalvorlage geschämt hatte und man entsprechend die absurderen Momente ausließ. Mittlerweile hat man sich freudig dem Absurdum der Vorlagen verschrieben und The Umbrella Academy ist da keine Ausnahme. Die plötzlichen Geburten und die Wunderkinder sind bloß der Anfang und schon bald überrascht auch ein hochintelligenter Schimpanse im Anzug wie Pogo (Adam Godley) oder eine Android-Mutter wie Grace (Jordan Claire Robbins) kaum jemanden mehr. Die Serie fasziniert mit einem einzigartigen Stil und einer ungewöhnlichen Atmosphäre. Diese können die Showrunner rechtfertigen, zumal sie eine alternative Realität aufgebaut haben, die einen gewissen Retro-Flair verströmt.
Die Inszenierung trägt ebenso erheblich zum Stil bei. Die cinematischen Elemente und die dynamische Kameraführung machen das Umbrella-Erlebnis zu etwas Besonderem, ob nun durch einfallsreiche Perspektiven oder durch plötzliche Split-Screens. Auch die Actionszenen sind hervorragend inszeniert und zeichnen sich durch einen Soundtrack aus, der normalerweise in einem solchen Szenario nicht zwingend funktionieren würde. Wenn beispielsweise bei einem Kampf um Leben und Tod der Song Don’t Stop Me Now von Queen läuft, trägt es witzigerweise zur Intensität bei und passt perfekt in das absurde Setting. Die einfallsreiche Soundtrackwahl kann selbst mit Guardians of the Galaxy konkurrieren.
The Umbrella Academy ist Netflix’ richtige Antwort auf die kommende Streaming-Konkurrenz. Mit den weniger bekannten Ressourcen macht Netflix alles richtig: Die Serie ist herrlich abgedreht, tempo- und humorreich, vergisst allerdings nie, wo der wahre emotionale Fokus liegt. Die Charakterdynamik gehört zum Besten, was man seit einiger Zeit gesehen hat und ist klar der Kernpunkt der Serie. Zwar gibt es bestimmte, doch eher langgezogene Stellen und nicht alle Charaktere wirken so glaubhaft, wie andere – doch wenn man sich gänzlich auf die Absurditäten der Serie einlässt, kann einen nicht mal mehr ein bevorstehender Weltuntergang abschrecken.
Artikel vom 25. März 2019
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