Kritik: Aus dem Nichts
WENN DIE GERECHTIGKEIT VERSAGT
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WENN DIE GERECHTIGKEIT VERSAGT
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Das gemeinsame Leben von Katja (Diane Kruger: Inglorious Basterds) und Nuri Sekerci (Numa Acar) steht schon zu Beginn auf wackligen Beinen. Nuri sitzt nach einigen Strafdelikten im Gefängnis, krempelt sein Leben jedoch um: nicht nur heiratet er Katja in dieser Zeit, er studiert auch BWL und wagt nach seiner Haftstrafe mit einem eigenen Übersetzungsbüro einen Neustart in Hamburg. Doch das Glück ist nicht von langer Dauer. Bei einem Bombenanschlag werden er und der gemeinsame Sohn Rocco getötet – Katjas Leben ist innerhalb einer Nacht in Trümmern.
Für die Polizeibehörde wird der Anschlag zunächst als religiös oder kriminell motivierter Bandenkrieg abgetan – bis die Neonazis André (Ulrich Friederich Brandhoff) und Edda Möller (Hanna Hilsddorf) festgenommen werden. Im nervenzehrenden Prozess deutet alles auf die Schuld des Ehepaares hin…
Fatih Akin (Soul Kitchen, Tschick) gliedert sein aufrüttelndes, an die NSU-Prozesse angelehntes Drama in drei Akte: Am Anfang steht das Attentat und die Auswirkungen auf Katja, ihrer Familie und ihren Freunden. Der zweite Akt spielt fast ausschließlich im Gerichtssaal, während der dritte Akt erneut einen ganz anderen Weg einschlägt, über den hier nicht zu viel verraten werden soll.
Aus dem Nichts macht in aller erster Linie betroffen – und wütend: die engstirnigen Ermittlungen zu Beginn, das ausbleibende Verständnis der Behörden für die Resozialisierung des toten Nuri, später dann der unerbittliche Machtkampf im Gerichtssaal – der Zuschauer ist ebenso hilflos wie Katja, die beizeiten wie ein Spielball der Umstände wirkt. Diese Figur ist auch der emotionale Ankerpunkt, der die drei Akte zusammenhält und deshalb so gut funktioniert, weil Diane Kruger die beste Leistung ihrer Karriere abliefert.
Man kann Diane Kruger mit Sicherheit einige hölzerne Performances (Troja, Inglorious Basterds) in ihren frühen Werken als Schauspielerin vorwerfen. In Aus dem Nichts macht sie all das vergessen: mit unglaublicher Intensität spielt sie eine bis ins Mark erschütterte Persönlichkeit. Zu jeder Sekunde kauft man ihr den inneren Kampf ab, der sich immer wieder durch heftige Heulkrämpfe und hoffnungslose Resignation äußert.
Gerade eine Schlüsselszene, in der Katja dem Gerichtsprozess beiwohnt und mit anhören muss, wie ihr Sohn durch die Nagelbombe verstümmelt und verbrannt wurde, ist durch Krugers Spiel fast nicht auszuhalten. Spätestens hier kriecht einem das Unbehagen den Hals hinunter und bleibt dort auch bis zum Abspann sitzen. Die Auszeichnung für „Beste Schauspielerin“ in Cannes hat sich Diane Kruger jedenfalls redlich verdient.
Nicht nur inhaltlich, auch inszenatorisch unterscheiden sich die drei Akte mitunter sehr. Das erste Drittel ist in trostlose, deprimierende Bilder gehüllt. Der Gerichtsprozess wird dann wieder eher konventionell dargestellt. Fatih Akin findet stets die passende Bildsprache, doch für großartige Kunstspielchen ist hier wenig Platz. Es gilt, eine zermürbende Geschichte zu erzählen.
Hierbei wählt Akin, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, eine sehr subjektive Herangehensweise. Natürlich fiebert man mit Katja und ihrem Anwalt (stark gespielt von Denis Moschitto) mit – sie sind einige der wenigen Sympathie- und Empathieträger. Figuren wie der fast schon bösartige Verteidiger der Angeklagten sind wiederum leider sehr plakativ gezeichnet; die Terroristen selbst bekommen überhaupt kein Profil. Das ist angesichts der Erzählstruktur und des historischen Hintergrunds zwar konsequent, lässt aber dennoch an Nachvollziehbarkeit vermissen.
Keine Frage, Aus dem Nichts rüttelt auf und zieht sich quälend langsam wie eine Schlinge zu. Regisseur Akin knallt dem Zuschauer ein wütendes Machwerk vor den Latz, in dem er mit emotionaler Wucht die NSU-Morde zwischen 2000 und 2006 kommentiert. Hier ist kein Platz für Verständnis, nur bodenlose Verachtung für Rassismus. Und so sehr die Geschichte auch manchmal gewollt wirkt, sie verfehlt ihr Ziel nicht.
Mit jeder Minute schleicht sich mehr das Gefühl von Ohnmacht und Wut ein, mit der uns Fatih Akin am Ende des Films alleine lässt. Kein Lösungsvorschlag, keine differenzierte Auseinandersetzung – nur eine hochemotionale, sehr subjektive Geschichte, die die Auswirkungen eines derartigen Terrorakts gekonnt aus der Rolle der Opfer erzählt. Keine leichte Kost, aber ein wichtiger und konsequenter Beitrag zum Thema.
Diese Rezension wurde freundlicherweise ermöglicht durch das Kino International, Berlin.
Fatih Akin erzählt eine unglaublich emotionale, stark auf die Opferrolle fokussierte Geschichte über Rassismus, Terrorismus und Gerechtigkeit. Dabei verzichtet er weitestgehend auf eine differenzierte Sicht auf die Täter und stellt dar, was für Auswirkungen ein derartiger Gewaltakt und das Versagen der Justiz haben können. Dieses sehr subjektive Porträt trifft ins Schwarze, wirkt aber gleichzeitig etwas plakativ. Diane Kruger brilliert als emotionaler Ankerpunkt und schafft es, die Verletztheit ihrer Figur herauszuarbeiten und den Zuschauer gleichzeitig bis in den Kern zu erschüttern.
Artikel vom 13. Dezember 2017
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