Kritik: The Ballad of Buster Scruggs
MEMENTO MORI IM WILDEN WESTEN
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Western-erprobt sind sie ja, die Coens. True Grit entpuppte sich tatsächlich als eines der besseren Remakes unserer Zeit und der Neo-Western No Country for old Men ist ohne Frage bereits zum modernen Klassiker avanciert. Mit The Ballad of Buster Scruggs geht es nun zurück in die Gauner-Gefilde – und das in sechs teils sehr unterschiedlichen Geschichten. Um möglichst nichts zu spoilern bekommt jede Episode ein Kurzfazit, aus der sich die Gesamtbewertung des Films ergibt.
Darum geht’s: In der ersten, titelgebenden Episode The Ballad of Buster Scruggs folgen wir eben jenem Outlaw (Tim Blake Nelson) durch die trockenen Weiten der Prärie. Der eloquente und schießwütige Gauner strotzt von Selbstbewusstsein, da er der wohl treffsicherste Revolverheld des Westens ist. Das stellt er auch gleich mal unter Beweis, als ihn ein paar Raufbolde in einem örtlichen Saloon anpöbeln…
Unsere Meinung: Die Coen-Brüder beginnen ihre Anthologie mit nichts Geringerem als einem Paukenschlag. The Ballad of Buster Scruggs ist so unfassbar witzig, kreativ, over the top und mit solch einem rabenschwarzen Humor versehen, dass man aus dem Lachen nicht mehr rauskommt. Tim Blake Nelson spielt einfach königlich und versprüht mit seinem tiefen Südstaaten-Dialekt eine Menge Charme. Und obwohl die Nummer, die zwischendurch sogar zum Musical ausartet, zum Schreien komisch ist, verpassen ihr die Coens ein bittersüßes Fazit: “Es wird immer jemand besseres geben”.
Wertung: 94%
Darum geht’s: Ein junger Cowboy (James Franco, The Disaster Artist) überfällt eine Bank irgendwo im Nirgendwo. Obwohl der Bankangestellte (Stephen Root) ihm ausführlich das Schicksal der letzten Bankräuber offenlegt, zieht der Cowboy seinen Coup durch – und befindet sich nur wenig später in einer wahnwitzigen Abwärtsspirale…
Unsere Meinung: Nach dem grandiosen Auftakt legt das Regie-Duo direkt weiter nach. Near Algodones ist zwar ein wenig bodenständiger als die erste Folge, doch mindestens so derb. Hinzu gesellt sich wieder eine typisch groteske Figur aus dem Hause Coen: der durchgeknallte Bankangestellte. Der Erzählton ist enorm knackig und in der kurzen Zeit springen wir förmlich durch die Handlungsorte. Das macht Episode 2 allerdings umso kurzweiliger – vor allem, weil sie genau so abrupt endet. Außerdem passieren hier etliche Dinge auf der Meta-Ebene, die jeder Zuschauer für sich selbst entdecken und interpretieren darf. Ein Kniff, der in den folgenden Episoden noch deutlicher zum Vorschein kommt. Unser Fazit: kurzweilig, witzig, brutal und tiefer, als man zunächst glaubt. Eine sehr starke Episode!
Wertung: 90%
Darum geht’s: Ein Impresario (Liam Neeson, The Commuter) zieht mit einem arm- und beinlosen Schauspieler (Harry Melling, Dudley Dursley aus Harry Potter) durch die Lande, um durch Theater-Performances den Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch längst ist klar: diese Kunst ist Nische und das Interesse der Bevölkerung sinkt…
Unsere Meinung: Mit Meal Ticket stoßen die Coens dem Zuschauer nach zwei illustren Episoden gehörig vor den Kopf. Zwar bleibt eine bitterböse Kernbotschaft über die Abgründe des Showbusiness, doch man hat sich fast aller Komik entledigt. Dadurch wirkt die Episode im Zusammenspiel mit der unterkühlten Bildsprache enorm schwer und zutiefst tragisch. Dieser krasse Stilbruch geht aber auf und zeigt zudem eine weitere, noch trostlosere Facette des Wilden Westens. Der radikale Wandel von Harry Melling weg vom ewigen Harry-Potter-Image ist sehr beeindruckend. Abzüge in der B-Note gibt es jedoch für ein paar Längen der Theaterszenen, die etwas zu ausgiebig sind.
Wertung: 82%
Darum geht’s: Ein in die Jahre gekommener Goldschürfer (Tom Waits) findet an einem abgelegenen Gebirgsfluss eine potenzielle Goldgrube. In mühsamer Schwerstarbeit versucht er, die Nuggets zu heben. Doch im Wilden Westen ist eben niemand sicher…
Unsere Meinung: Auch die vierte Episode kommt eher gemächlich daher. Das Plätschern des Flusses, die Unberührtheit der Natur, die friedliche Tierwelt – und dazwischen ein Tattergreis, der immerzu mit einem imaginären Goldklumpen spricht. Es ist vor allem der schieren Präsenz von Tom Waits (7 Psychos) zu verdanken, dass die Episode komplett durchträgt. Dabei ist es – erneut – der Schlussakkord, der dieser Folge seinen moralischen Stempel aufdrückt. Im weitesten Sinne kann All Gold Canyon als Geschichte über die Koexistenz von Mensch und Natur, als auch Abgesang auf den American Dream gewertet werden. Und die Nummer geht auf!
Wertung: 83%
Darum geht’s: Die Geschwister Gilbert (Jefferson Mays) und Alice Longabaugh (Zoe Kazan) sind mit einem Wagenzug auf dem Weg nach Oregon. Dort soll Gilbert nicht nur ein lukratives Geschäft abschließen, auch Alice soll dort einem wohlhabenden Mann als potenzielle Ehefrau vorgestellt werden. Doch die Reise verläuft anders, als erwartet…
Unsere Meinung: Die ausgiebigste Episode ist gleichzeitig die mit der größten Komplexität – aber auch mit den größten Längen. Protagonistin Alice bewegt sich ständig irgendwo zwischen Naivität und Pragmatismus und hangelt sich von einer Problemsituation zur nächsten. Hier schimmert zwar vor allem die Exzellenz der Coens für ausgefeilte Dialoge durch, doch weder große Spannung noch Humor finden sich hier wieder. Das dämpft den Gesamteindruck stark. Gleichzeitig verpacken die Regisseure aber sehr viele Themen in ihre Geschichte: Wie überlebe ich alleine im Wilden Westen? Welche Probleme bekomme ich wie gelöst? Ordne ich meine Meinung der Meinung der Mehrheit unter? Lasse ich mein Handeln unhinterfragt diktieren? The Gal Who Got Rattled bietet mit Sicherheit etliche Interpretations- und Diskussionsspielräume an – vergisst dabei aber ein wenig, zu unterhalten. Lediglich das Finale bricht hier mit dem Stil der Folge und würzt die Episode mit der coen’schen Tragik.
Wertung: 70%
Darum geht’s: Eine Kutsche, fünf Protagonisten. Ein Engländer (Jonjo O’Neill), ein Ire (Brendan Gleeson, Königreich der Himmel), eine feine Lady (Tyne Daly), ein Franzose (Saul Rubinek) und ein Trapper (Chelcie Ross) – und natürlich kriegen sich alle schnell in die Wolle. Doch wer sind diese wahllos zusammen gewürfelten Personen? Und wohin ist die Kutsche eigentlich unterwegs?
Unsere Meinung: In der abschließenden Folge The Mortal Remains wagen sich Joel und Ethan Coen nochmal in ein neues Genre. Tatsächlich wirkt die Episode fast schon wie ein Mashup aus Sleepy Hollow und Kammerspiel. Der Mystery-Faktor ist omnipräsent und genau das macht die Angelegenheit auch so erfrischend: nach drei eher realistischen Episoden tanzt man nun wieder etwas aus der Reihe. Dabei wird es vor allem inhaltlich spannend, denn die unterschiedlichen Figuren haben jeweils ganz andere Auffassungen von Moral, Verwerflichkeit und Handlungsspielräumen. Der große Schlusstwist, den wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten wollen, fasst auch insgesamt The Ballad of Buster Scruggs ziemlich gut zusammen: “Egal, wie wir unser Leben leben: am Ende muss jeder sterben.” Eine gelunge Abschlussfolge, welche die Grundthematik der Anthologie nochmals gekonnt aufgreift und zum Abschluss bringt.
Wertung: 81%
Der sechsteilige Episodenfilm der Coen-Brüder passt perfekt zu einer Plattform wie Netflix. Die Ausnahmeregisseure haben Narrenfreiheit und nutzen diese auch zunächst aus. Während die ersten beiden Episoden noch vor anarchistischem Humor, Gewalt und Charme sprühen, wird es dann zunehmend bodenständiger. Das ermöglicht den Coens, immer wieder abgrundtief böse Akzente zu setzen und dem Zuschauer mit knallhartem Realismus ganz schön etwas zuzumuten. Gelegentlich kommt es dabei zu Spannungsdurchhängern wie in Episode 3 und 5, doch die tragischen Spitzen der Geschichten machen vieles wieder wett. Insgesamt macht The Ballad of Buster Scruggs viel Spaß: mal wird es absurd und zum Schreien komisch, dann wieder zutiefst tragisch und rabenschwarz. So richtig spannend wird es aber vor allem dann, wenn man als Zuschauer beginnt, die unzähligen Meta-Ebenen der Episoden zu durchforsten und seine eigenen Schlüsse aus den Geschichten zu ziehen. Denn dafür haben die Coens wirklich genügend Material geliefert!
Artikel vom 30. November 2018
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