Darum geht's
Monatelang musste sich Sawyer Valentini (Claire Foy) mit dem Stalker David Strine (Joshua Leonard) herumschlagen. Trotz des polizeilich erwirkten Kontaktverbots lässt dieser einfach nicht locker – bis sich Sawyer dazu entschließt, von Boston nach Pennsylvania zu ziehen. Doch die Hoffnung, mit dem Ortswechsel auch ihre Vergangenheit zurück zu lassen, bleibt unerfüllt: an jeder Ecke scheint sie ihren Peiniger zu sehen. Auf Verdacht einer neurotischen Störung besucht sie eine Psychiaterin in der Highland-Creek-Klinik. Als Sawyer anschließend leichtsinnig ein "standardisiertes Dokument" unterschreibt, übersieht sie, dass sie dadurch für 24 Stunden in die Klinik eingewiesen wird.
Zwischen den psychisch kranken Patienten fühlt sich Sawyer sichtlich unwohl, doch ihr persönlicher Albtraum beginnt erst dann, als sie in einem der Pfleger ihren alten Stalker wieder zu erkennen glaubt...
Ist das iPhone-Experiment geglückt?
"iPhone-Filme sind die Zukunft" proklamiert Soderbergh (Traffic, Magic Mike) seit Monaten in jedem Interview. Immerhin hat das Indie-Regisseur Sean Baker in Tangerine L.A. bereits beeindruckend vorgemacht. Bei Unsane - Ausgeliefert fällt die Sache jedoch wesentlich ambivalenter aus: in guten Momenten zaubert Soderbergh schön komponierte und durchdachte Bilder auf die Leinwand. In schlechten Momenten wandelt der Film optisch irgendwo zwischen Found-Footage der frühen 2000er und Studentenprojekt. Gerade dann, wenn die Lichtverhältnisse nicht ganz ausgewogen sind, sticht das arg kriselnde Bild negativ heraus.
Keine Ausreden mehr: Jede kann einen Kinofilm drehen, man braucht nur ein iPhone... und genügend Speicherplatz.
Glücklicherweise hat sich der Zuschauer nach spätestens einer halben Stunde daran gewöhnt und verdrängt erfolgreich, dass weder Auflösung noch Format des iPhones für die große Leinwand geeignet sind. Natürlich darf es Soderbergh hoch angerechnet werden, ein derartiges Experiment zu wagen. Der Regie-Altmeister hatte wohl auch sichtlich Spaß bei den Dreharbeiten: hinter Kameramann Peter Andrews und Cutterin Mary Ann Bernard verbirgt sich nämlich auch Soderbergh selbst. Gönnen wir ihm also seine filmische Spielwiese und schauen, ob der Film inhaltlich etwas kann.
Werbung
Kafkaeske Hochspannung
Das Grundthema in Unsane – Ausgeliefert ist Macht und Ohnmacht. Die eigentlich resolute und selbstbewusste Protagonistin ist als toughes Arbeitstier in ihrem Job sehr erfolgreich. Diese Machtstellung wird ihr bei ihrer Einweisung in die psychiatrische Anstalt schlagartig entzogen – und das überträgt sich auch auf den Zuschauer. Je mehr sich Sawyer gegen die unantastbare Obrigkeit zu wehren versucht, desto mehr wird auch der Zuschauer in den aussichtslosen Strudel der Machtlosigkeit hineingezogen. Jeder Versuch, dieser Ungerechtigkeit zu begegnen, endet nur noch in heftigeren Konsequenzen, auch wenn sich die Protagonistin immer im Recht wähnt. Die ersten 45 Minuten sind eine wahrhaft kafkaeske Angelegenheit und deshalb so ungemein immersiv.
Doch Steven Soderbergh pfeift auf die Geradlinigkeit seines Psychothrillers und führt Protagonistin und Zuschauer immer wieder an der Nase herum. Zwischendurch weiß man selbst nicht mehr, ob die Geschehnisse Einbildung sind oder ob sich hier ein regelrechter Albtraum entfaltet. Es darf so viel verraten werden: die Wendungen in den letzten 20 Minuten schlagen mehr Haken als ein von Hunden verfolgter Hase. Immer dann, wenn man sich eine Auflösung herbei sehnt, setzt Soderbergh noch einen drauf. Dabei ist das Finale dann doch etwas überfrachtet, auch wenn es durchgehend verblüfft.
Hoffnungslos ausgeliefert: 'Unsane' ist psychologischer Terror vom Feinsten.
Zweite Riege im Rampenlicht
Schauspieltechnisch ist Unsane – Ausgeliefert geglückt! Hauptdarstellerin Claire Foy dürfte vor allem Fans von The Crown ein Begriff sein. Hier verleiht sie ihrer psychisch labilen Figur bravurös Leben: zwischen Nervenzusammenbruch, lässiger Coolness, heftigen Ausrastern und manipulativen Spielchen bleibt sie stets überzeugend. Dabei dient sie vor allem dem Zuschauer als Ankerpunkt, auch, wenn dieser im Lauf des Films immer wieder stark wackelt.
Alle anderen Schauspieler fügen sich nahtlos in das beunruhigende Setting ein und spielen gekonnt mit der Unmittelbarkeit, die von den iPhone-Bildern erzeugt werden. Als "good guy" ist Jay Pharoah der einzige wirkliche Sympathieträger des Films und steht im krassen Kontrast zur Darstellung von beispielsweise Juno Temple, die als aggressive Patientin eine der einprägsamsten Performances ihrer Karriere abliefert. Auch Joshua Leonard agiert als unberechenbarer, gleichzeitig jedoch über-sensibler Stalker absolut treffend und sorgt zudem für die unheimlichen Gänsehautmomente. So ganz möchte Soderbergh aber nicht auf seine Stammriege verzichten: ein alter Bekannter bekommt einen augenzwinkernden Kurzauftritt spendiert, auf den man sich freuen darf.
Ein dreckiger B-Movie
Auch wenn es die billig wirkenden iPhone-Bilder wahrhaftig nicht für Unsane – Ausgeliefert gebraucht hätte, liefert Soderbergh doch ein astreines Filmwerk mit B-Movie Beigeschmack ab. Die kameratechnische Herangehensweise bescherte sicherlich einen netten Marketing-Effekt, doch es ist eher die Expertise und das Talent des Schöpfers, die den Film so sehenswert machen und weniger die visuelle Umsetzung. Ob sich iPhone-Filme in Zukunft etablieren? Fragwürdig. Was Soderbergh hier vor allem zeigt, ist, dass schon mit einfachen Mitteln und einer packenden Story ein wuchtiger Psychothriller entstehen kann. Das hat er mit Unsane – Ausgeliefert mit Bravour bewiesen!
Fazit:
'Unsane – Ausgeliefert" ist ein bildgewordener Albtraum
Das Wichtigste vorweg: Soderbergh hätte sein neues Filmwerk auch getrost mit normalen Kameras filmen können. Nur in den seltensten Momenten dient der billige Look dem Geschehen im Film, auch, wenn dieses Experiment respektabel ist. Die große Stärke bei Unsane - Ausgeliefert liegt in der ungeheuer dicht erzählten, kafkaesk anmutenden Story, die den Zuschauer mit jeder Minute tiefer in den psychologischen Abgrund zieht. Dabei geizt der Filmemacher nicht mit willkürlichen Plot-Twists, die zwar oftmals wenig logisch, dafür aber immer spannend daher kommen. Schauspielerisch ist der Film glaubhaft, vor allem Claire Foy liefert eine erstklassige Performance ab. Mit jeder fortschreitenden Minute wird der Zuschauer tiefer in die Geschichte und die albtraumhaften Geschehnisse hineingezogen; vor allem das Finale ist ein wiederholter Schlag in die Magengrube. Zwar übertreibt es Soderbergh hin und wieder mit seinen Wendungen, doch insgesamt bleibt Unsane - Ausgeliefert ein hochspannender, sehenswerter Psychothriller.