Mehr Tiefgang im zotigen Gewand
Die erste Staffel von Big Mouth wird sicherlich nicht jedermanns Geschmack getroffen haben. Mit der durchaus expliziten Darstellung von Geschlechtsteilen und Körpersäften haben sich die Showrunner um Comedian Nick Kroll und John Mulaney einiges getraut. Zwar sind einige Gags definitiv zu weit unterhalb der Gürtellinie, doch man kann den Autoren nicht absprechen, wie akkurat sie ihre pubertierenden Figuren und die zugehörigen Metaphern gezeichnet haben.
In Big Mouth – Staffel 2 verschiebt sich der Fokus merkbar: Zwar gibt es immer noch Musical-Einlagen im Brüste-Märchenland und auch Schamhaare dürfen nun zu Wort kommen, doch fallen diese Nummern um einiges weniger over the top aus. Gleichzeitig wird die “wunderbare” Welt der Pubertät um einige neue Charaktere erweitert, die der ganzen Geschichte eine neue Tiefe verleihen und tatsächlich sehr gut nachvollziehbar sind.
Scham-Hexer und Depressions-Katzen
Während in Staffel 1 die Protagonisten vor allem mit ihren Hormonmonstern zu kämpfen hatten, und entsprechend irrationale Entscheidungen trafen, steht nun eine weitere Figur im Mittelpunkt: der Schamgefühl-Hexer. Und dieser finstere Zauberer ist nur darauf bedacht, die heranreifenden Jugendlichen in die Krise zu stürzen. All seine Szenen funktionieren einwandfrei, denn die omnipräsente Stimme der Scham erwischt die Figuren eiskalt dann, wenn sie verletzlich und unsicher sind. Selbstbefriedigung? Du bist ein Perverser! Neid? Du bist nichts wert! Körperliche Defizite? Du bist hässlich! All diese Szenen sind dank exzellenten Writings für den Zuschauer immer äußerst “relatable” und treffen voll ins Schwarze.
Zudem ist David Thewlis (Fargo – Staffel 3 lässt grüßen) als Schamgefühl-Hexer absolut brillant besetzt. Mit seiner intrigierenden, fast schon unheimlich ruhigen Stimme spricht er den Kids allerlei Flausen in die Gedanken. Doch die Autoren sind differenziert genug, ihn nicht als reinen Antagonist zu zeichnen. Kann Schamgefühl vielleicht sogar einen positiven Einfluss nehmen?
Pubertieren in Zeiten der Smartphones
Big Mouth – Staffel 2 geht aber noch einige Schritte weiter. So werden nicht nur die Höhe- und Tiefpunkte der ersten sexuellen Erfahrungen aufgezeigt, auch Themen wie Cyberbullying, Slut-shaming und Depressionen werden mit Feingefühl und Nachdruck angesprochen. Neben Tote Mädchen lügen nicht ein weiterer wichtiger Beitrag über die Selbstläufer, die aus Lästereien und Kettennachrichten entstehen.
Höchsten Respekt muss man dem Autorenteam auch für die kurze, aber erschreckend akkurate Darstellung von Depression zollen. Die charmante Depressions-Katze wirkt erst gar nicht so gefährlich… bis sie anfängt ihre Opfer einzulullen. Diese Szenen sorgen dafür, dass der Zuschauer innerhalb weniger Sekunden vom Lachen ins Grübeln verfällt – eben weil diese Gefahr erst einmal gar nicht so bedrohlich wirkt und schleichend daherkommt. Ein großes Plus der neuen Staffel!
Bestens aufgelegter Cast
Der eigenwillige Animationsstil passt nach wie vor blendend zum perfekt ausgewählten Voice-Cast. Das Who is Who jüdischer Comedy-Größen in Hollywood gibt sich erneut die Ehre – und nimmt sich und seine Kultur einmal mehr gehörig aufs Korn. Nick Kroll, John Mulaney, Fred Armisen – sie alle liefern wunderbar selbstironische Performances ab und werden von einigen namhaften Gastrollen stimmig ergänzt. So sorgen neben dem bereits erwähnten David Thewlis auch Jordan Peele (Regisseur von Get Out) für herrliche Momente. Ein Cast, der sich durchaus mit dem sensationellen Voice-Acting von BoJack Horseman messen kann!
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