7.5/10

Kritik: Happy! – Staffel 1

IF YOU’RE HAPPY AND YOU KNOW IT CLAP YOUR HANDS

▶ Jetzt direkt streamen auf:

[jw_add_widget-sc]

Genres: Comic, Drama, Komödie, Startdatum: 06.12.2017

Interessante Fakten für…

  • Die Figur Happy wurde im Piloten von Bobby Moynihan vertont, bevor er durch Patton Oswalt ersetzt wurde.

Imaginäre Freunde kennt man vor allem aus der Kindheit. In überbordender Fantasie werden herrlich schräge Figuren zum Leben erweckt – gerade oft aus Einsamkeit. Doch was wäre, wenn diese imaginären Wesen wirklich Einfluss auf unsere Welt nehmen könnten? Dieses witzige Gedankenexperiment spielt Netflix mit dem neuen Original ‘Happy!’ aus. Was wir von der ersten Staffel halten, erfahrt ihr in unserer Bewertung und Kritik.

Avatar-Foto
#NetflixAndChill #Meta #AdvocatusDiaboli

Darum geht’s

Ex-Cop und Auftragskiller Nick Sax (Christopher Meloni) ist ein Suffkopf vor dem Herrn. Der abgefuckte Alleingänger hält sich mit blutiger Auftragsarbeit und Painkiller über Wasser, doch sein Leben ist ihm längst entglitten. Während eines Routinejobs erfährt er, praktisch aus Versehen, ein höchst brisantes Passwort, das dem lokalen Mafia-Boss Mr. Blue (Ritchie Coster) von großer Bedeutung ist. Der lässt sich natürlich nicht lumpen und macht Jagd auf Nick.

Als dieser nach einem kleinen Shootout im Krankenhaus aufwacht, traut er seinen Augen kaum: ein blaues, fliegendes Einhorn namens Happy (Stimme: Patton Oswalt), das außer ihm niemand sehen kann, versucht ihn davon zu überzeugen, dass Nicks Tochter Hailey von einem monströsen Santa (Joseph D. Reitman) entführt wurde. Happy selbst ist der imaginäre Freund von Hailey und versucht verzweifelt, Nick zu mobilisieren. Doch der weiß weder was von seiner angeblichen Tochter, noch ist ihm das sprechende Einhorn sonderlich geheuer…

Nicht noch ein Antiheld…

Man will es kaum glauben, doch die Figur Nick Sax hebt den Begriff Antiheld nochmal auf ein ganz neues Level. Nicht nur schmeißt sich der heruntergekommene Zyniker sämtliche Drogen in den Rachen, er schlachtet sich auch mit einer unheimlichen Gleichgültigkeit durch die Gaunermassen – und zwar mit jeder erdenklichen Mordwaffe. Dabei kassiert er ebenso viel Prügel, wie er auch austeilt. Doch selbst für die ausweglosen Situationen hat er einen staubtrockenen Spruch parat. Ein bisschen wie Jessica Jones ohne Superkräfte und mit viel mehr Blutdurst!

Die Serien- und Filmlandschaft ist derzeit so geprägt von unliebsamen Antihelden, dass man als Zuschauer fast schon übersättigt ist. Noch ein derber Spruch, noch ein kaltblütiger Mord, noch mehr Schnäpse und noch asozialere Verhaltensweisen. Das darf man Happy! – Staffel 1 natürlich nicht zu negativ anrechnen, immerhin wird hier der aktuelle Trend einfach konsequent weitergeführt. Allerdings ist es ein Trugschluss, zu denken, dass mit diesem Extrem automatisch ein höherer Unterhaltungsfaktor geschaffen wird.

„-You’re shot!
– Yeah. But it’s the heart attack I just had that’s really got my attention.“

Eine Prostituierte und Nick Sax in Happy!

Nick Sax (Christopher Meloni) konfrontiert sich selbst in Form eines sprechenden Einhorns, das auf den Namen “Happy” hört.

Christopher Meloni und Einhorn Happy im Krankenhaus in einem Szenenbild für Kritik Happy! Staffel 1

Noch asozialer, noch brutaler

Happy! – Staffel 1 ist derart dystopisch und misanthropisch, dass man es als Zuschauer kaum aushält. Die Showrunner wollen einmal mehr alles bisher Dagewesene überbieten und schrecken dabei thematisch vor nichts zurück. Unverblümter Menschenhass, Pädophilie, Kindsmord, seelischer und sexueller Missbrauch, abartigste Folter und Menschenhandel fließen in die Geschichte mit ein und zwar in einer solchen Frequenz, dass es sich dem Entertainment entzieht. “Kann man doch machen”, mag man nun einwenden, “solange es witzig genug kommentiert wird”. Das klappt zwar manchmal, doch die Serie versucht sich an einem derart brutalen Spagat, dass spätestens in der zweiten Staffelhälfte die Hose reißt.

Doch warum? Nun, die ganze Angelegenheit ist trotz Psycho-Santas und sprechenden Einhörnern zu realistisch, um lupenreiner Trash zu sein. Die lässigen Kommentare sind zu triefend schwarz, um immer ein Lachen zu provozieren. Die Thematiken sind so realitätsnah, dass es nicht immer gelingt, eine richtige Distanz zum Geschehenen aufzubauen. Eigentlich ist Happy! – Staffel 1 ein pessimistischer Abgesang auf die Menschlichkeit mit sehr, sehr wenigen Lichtblicken. Manche können darüber sicherlich schallend lachen, doch vielen wird das Lachen im Halse stecken bleiben. Und wenn das zur Manier wird, bleibt die Unterhaltung eben deutlich auf der Strecke. Zumal das sicher nicht der Plan der Showrunner war.

Ein blutrünstige Wundertüte

In den Momenten, in denen sich Happy! – Staffel 1 mit seinem Grenzengepushe nicht im Weg steht, gibt es allerdings ordentlich was zu staunen. Da wäre zum Beispiel die inszenatorisch einwandfrei umgesetzte Action, die handwerklich nichts zu wünschen übrig lässt (auch wenn die Gewaltelemente gelegentlich Selbstzweck-Charakter aufweisen und nur für die Abwechslung eingestreut scheinen). Außerdem ziehen die Autoren die Weihnachts-Metapher konsequent durch: der Bösewicht ist ein psychisch angeknackster Weihnachtsmann, der Protagonist heißt Nick(olaus), selbst der Soundtrack besteht größtenteils aus kitschigen Weihnachtsliedern. Und zugegeben, wenn es die Hauptfigur in Zeitlupe zu “It came upon the midnight clear” durch die Frontscheibe ihres Wagens schleudert und die Spucke nur so aus dem Mund trieft, dann wird die romantisierte Weihnachtszeit schon schnippisch demontiert.

Doch Happy! – Staffel 1 ist mit Sicherheit kein Fest der Liebe. Wenn es zur Sache geht, dann werden schon auch mal Kettensägen, Sportpokale, Bohrer und Äxte ausgepackt. Für Zuschauer mit schwachen Nerven sicherlich nicht die erste Wahl, zumal die Gewalt hier wie bereits erwähnt nicht immer dienlich ist. Des Weiteren werden storytechnisch munter MacGuffins und “Deus ex machina”-Momente aufgefahren, also sollte man die Logiklupe besser stecken lassen – auch, wenn die Parallelhandlungen geschickt und chronologisch sinnvoll miteinander verwoben werden.

Wo wir schon beim Thema wären: die Idee, imaginäre Kinderfreunde aktiv in die Handlung eingreifen zu lassen, ist höchst kreativ und funktioniert erstaunlich gut (so verrät Happy dem Protagonisten bei einem Pokerturnier etwa die Hände der Gegenspieler). Doch spätestens wenn durch Menstruationsblut (!) beschworene Untote auf der Spielfläche erscheinen, überspannt die Serie den Bogen deutlich. Gerade in den letzten Folgen prallen so viele heftige, absurde, schockierende, trashige und schlicht gestörte Elemente aufeinander, dass man als Zuschauer einfach kapituliert und das bunte Treiben auf dem Homescreen einfach über sich ergehen lässt. Mehr ist nicht immer gleich mehr.

Happy sieht vielleicht putzig aus, doch die Serie sollte definitiv nicht Teil eines Kindergeburtstag-Programms werden.

Einhorn Happy in einem Szenenbild für Kritik Happy! Staffel 1

Christopher Meloni hat den Schalk im Nacken

Trotz aller überzogen wahnwitzigen Einfälle funktioniert Happy! – Staffel 1 vor allem dank seines Hauptcharakters Nick Sax, der großartig von Christopher Meloni verkörpert wird. Wer den Kultfilm Wet Hot American Summer und die von Netflix produzierten Sequels/Prequels kennt, der weiß schon, dass Meloni ganz wunderbar Figuren mit dem Hang zum Wahnsinn spielen kann. Hier setzt er aber noch einen drauf: mit einer Selbstverständlichkeit feuert er seine Oneliner und Konter ab, macht in den Actionszenen eine herausragende Figur und schafft es erfolgreich, auch die ernsteren Momente mit Bravour zu tragen. Nick Sax ist ein sarkatisches Arschloch und es ist eine Freude, Meloni dabei zuzusehen, wie er sich die Seele aus dem Leib spielt. Ein wenig erinnert er damit an Trevor Philips aus Grand Theft Auto V.

„My patience has run out for the black hole of millennial sarcasm that is your brain.“

Nick Sax in Happy!

Kommen wir endlich zum Elefanten – beziehungsweise dem Einhorn – im Raum: funktioniert ein animierter Sidekick in einer so heftigen Serie? Nun, da Happy! – Staffel 1 zwischendurch wie ein eskalierter Drogentrip wirkt, ist das Einhorn Happy eigentlich an der richtigen Stelle. Im Verlauf der Folgen entwickelt sich aus den Protagonisten sogar das klassische Duo wider Willen, in dem Meloni und Patton Oswalt, der Happy seine Stimme leiht, sehr gut miteinander harmonieren. Lediglich in den ersten zwei Folgen, in denen Happy eingeführt wird, nervt das imaginäre Tier gewaltig. Hier wurde sowohl von Oswalt, als auch von den Autoren einfach zu dick aufgetragen, auch wenn sich das glücklicherweise schnell legt. Doch nach dem Trauma mit Jar Jar Binks sollte man bei energetischen CGI-Figuren keine solchen Risiken eingehen.

Unsäglich gestörte Bösewichte

Schauspielerisch gibt es auch sonst wenig zu meckern. Lili Mirojnick als toughe Detective Meredith McCarthy und Medina Senghore als verzweifelte, jedoch durchschlagkräftige Mutter von Hailey bringen genügend ambivalente Nuancen in ihre Figuren hinein. Auch Bryce Lorenzo verkörpert die kleine Hailey gleichermaßen mit großem Selbstbewusstsein und heftigen Verzweiflungsanfällen.

Ritchie Coster darf ebenfalls zu einer starken Leistung gratuliert werden: sein eiskalter Mafiaboss mit Minderwertigkeitskomplexen macht richtig Laune. Vor allem dann, wenn seinen Drohungen Bleisalven folgen. Den Vogel schießt jedoch Patrick Fischler (Twin Peaks) ab. Der psychopathische Folterknecht und Vollzeitkidnapper ist so haarscharf an der Karrikatur vorbei gespielt, dass man immer wieder lachend den Kopf schütteln muss. So gestört bösartig hat man lange keinen Antagonisten mehr gesehen!

Close, but no cigar!

Happy! – Staffel 1 möchte sehr viel: einerseits soll der bewährte Mix aus ultrabrutaler Gewaltdarstellung und witziger Überzeichnung erreicht, andererseits eine im Kern heftige Geschichte um zerbrochene Familien erzählt werden. Dabei verhebt sich die Serie jedoch und verschluckt sich an ihren großen Ambitionen. Obwohl gerade Nick Sax ein spannender Charakter ist und in kurzen Flashbacks durchaus genügend glaubhaften Unterbau spendiert bekommt, ist die kunterbunte Mischung aus Pädophilen-Thriller, Animationsfilm, Familiendrama, bluttriefendem Actioner und zotiger Komödie ein wenig zu beliebig, um vollends stimmig zu überzeugen. Eigenwillig ist das Werk allemal – doch zu selten weiß Happy! – Staffel 1, was es wirklich ist. Und das merkt auch der Zuschauer!

Fazit

7.5/10
Ordentlich
Community-Rating:
Handlung 6/10
Schauspiel 8.5/10
Action 8/10
Dialoge 8.5/10
Tiefgang 6.5/10
Details:
Showrunner: Brian Taylor, Grant Morrison,
FSK: 16 Epiosden: 8
Besetzung: Bryce Lorenzo, Christopher Meloni, Lili Mirojnick, Patton Oswalt, Ritchie Coster,

Die Zutaten sind bewährt, die Prämisse ist frisch, die Schauspieler stark und die Action solide – dennoch steht sich diese Crime-Serie zu oft selbst im Weg. Inhaltlich gehen die Autoren an die Grenzen des Aushaltbaren, Sujets wie Pädophilie und Menschenhandel werden ausführlich thematisiert, doch so richtig lachen kann man über den “comic relief” genau dieser Szenen definitiv nicht. Happy! – Staffel 1 funktioniert immer dann am besten, wenn die heftigen Themen für einen Moment ausgeblendet werden und die Protagonisten sich messerscharfe Dialoge um die Ohren schlagen. Doch wenn die richtig heftigen Geschütze aufgefahren werden, kann sich die Serie nicht entscheiden, ob sie unterhalten, satirisch kommentieren oder schlicht schockieren möchte. Herausgekommen ist eine Mischung, die gerade durch ihren kreativen Einfallsreichtum und ihrem starken Schauspielensemble lohnenswert ist, jedoch in ihrem gewalttätigen Übereifer zu wenig Möglichkeit zur Distanz gibt – und das, obwohl wirklich alles mit einem derben Spruch kommentiert wird. Das Fazit bleibt: nur weil man möglichst viel Gewalt, Sarkasmus und Tabuthemen in eine Serie packt, kommt nicht gleich ein stimmiges Ergebnis raus. Wer jedoch einen Blick riskiert, wird zumindest mit einer Wundertüte an abgefahrenen Einfällen belohnt.

Artikel vom 9. Mai 2018

4001Reviews.de (V4) – Seit 2015