Kritik: Fahrenheit 451 (2018)
THEMA VERFEHLT, DURCHGEFALLEN!
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Amerika, in einer unbekannten Zukunft. Jegliche Form von Kunst und Kultur ist staatlich verboten – Literatur, Musik, Gemälde – einfach alles. Das Argument: nur, wenn alle die gleiche Meinung haben, kommt es nicht mehr zu Auseinandersetzungen im Volk und die Demokratie kann gewahrt werden. Um diese Gleichstellung zu gewährleisten, rücken jeden Tag so genannte Firemen aus, um die illegalen Kulturgüter zu verbrennen.
Einer von diesen wie Superstars gefeierten „Feuerwehrmänner“ ist Guy Montag (Michael B. Jordan), der mit seinem Vorgesetzten Captain Beatty (Michael Shannon) mitunter die größten Erfolge verzeichnen kann. Doch als Guy das erste Mal ein echtes Buch in den Händen hält und mit ansehen muss, wie sich eine Rebellin selbst anzündet, kommen dem konformen Volksliebling ernsthafte Zweifel an seinem Job…
Regisseur Ramin Bahrani setzt alles daran, die ganz leicht angestaubten Elemente der Romanvorlage in ein futuristisches Setting zu packen und mit aktuellen Themen zu würzen. Die Feuerwehrmänner werden im Livestream wie Internetstars behandelt, auf Wolkenkratzer werden die Razzia- und Verbrennungsaktionen gestreamt und von der Bevölkerung mit Kommentaren und Emojis versehen (genau so, wie auf Facebook). Und natürlich sind Bücher auch längst nicht mehr das einzige Medium – die Feuerwehrmänner vernichten hauptsächlich Rechner, Datenträger und Festplatten, um die virale Verbreitung digitalisierter Kunst zu unterbinden.
Optisch wird in Fahrenheit 451 eine Qualität an den Tag gelegt, die ein Klassiker mit derartigem Gewicht auch verdient hat. Die Gebäude sind gleichermaßen futuristisch wie auch steril, die Schalt- und Bedienungsflächen hologrammartig, überhaupt sieht das Ganze ziemlich hochwertig aus. Auch die einzelnen Filmgewerke legen sich ins Zeug – die Kameraaufnahmen, Super-Slowmos und Brandeffekte sind aus einem Guss und lassen nichts vermissen.
Es wird relativ schnell ersichtlich, auf welchen Aspekt der Vorlage Bahrani seinen Fokus legt: Zensur. Wenn in der Eingangssequenz Montag und Beatty durch eine Schulklasse laufen und mit Nachdruck ihre Propaganda performen, um anschließend symbolisch zwei Bücher mit dem Flammenwerfer zu Asche zu machen, dann wird die Kritik an Kunstzensur sehr offensichtlich dargestellt. Und auch die Argumentation von Beatty, dass schon zwei unterschiedliche Meinungen von beispielsweise Philosophen ausreichen, um eine Gesellschaft zutiefst zu verunsichern und damit in Aufruhr bringen können, wird sehr prominent und durchaus nachvollziehbar platziert.
„Your father must’ve been old enough to remember a time when firemen put fires out instead of starting them.“
Ein Rebell zu Beatty in Fahrenheit 451
Wer jedoch die Vorlage von Bradbury kennt, der weiß auch, dass die Zensur nicht seine Hauptkritik ist. Stattdessen geht es vielmehr um die Rolle der Massenmedien, die in Form von stumpfen Fernsehsendungen in jeder Wohnung nonstop die Bürger einlullen, damit diese nicht mehr mündig sind, geschweige denn emotional von tatsächlichen Geschehnissen berührt werden. Bradbury sagte bereits 1953 riesige Flachbildschirme und unterirdische Talkshows voraus, die Menschen schließlich in geschwätzige, aber intellektuell unterbelichtete Kreaturen verwandelt. Es ist erschreckend, wie akkurat dieses Bild 2018 geworden ist.
Nun ist es leider so, dass Bahrani auf diesen Aspekt fast gar keinen Bezug nimmt und lediglich ein, zwei Mal hauchdünn vorkommen lässt. Seine Geschichte versteift sich so auf den Aspekt der Zensur, dass Fahrenheit 451 der Fülle von Bradburys Vorlage in weiten Teilen nicht gerecht wird. Das ist höchst bedauerlich, denn so wirkt nun die HBO-Produktion wie ein bekannter Abklatsch des Films Equilibrium, der eine ähnliche Geschichte erzählt, in der ein totalitärer Staat durch Medikamente jegliche Emotionen der Bevölkerung unterdrückt und alle Kunst vernichtet, die in irgendeiner Weise Emotionen auslösen könnte.
Es ist ironisch, dass über die blauen Bildschirme immer wieder der Satz “Freedom is Choice” flackert. Denn die Freiheiten, die sich das Autorenteam genommen hat, treten den Rest der Vorlage noch mal amtlich mit Füßen. Guy Montags Frau Mildred? Weggekürzt. Der alte Literaturprofessor Faber? Keine Zeit. Die bösartigen mechanischen Kampfhunde, die Rebellen aufspüren? Zu aufwändig. Selbst das Überthema, das die Vorlage umklammert, wird rigoros rausgestrichen. Im Roman herrscht nämlich ein heftiger Krieg, von dem die Bevölkerung mit Massenmanipulation aber nichts mitbekommen soll. Kein unbedeutendes Detail – immerhin wird am Ende des Buches die ganze Stadt mit einer Atombombe zerstört.
Stattdessen dreht sich Fahrenheit 451 in seiner Zensurkritik weiter im Kreis. Das ist zwar alles schön und gut, aber so viel Tiefe erreicht die Thematik dann doch nicht, dass es 100 Minuten lang trägt. Ja, ein Loblied auf die Literatur in unserer zunehmend von Videos geprägten Welt ist schon rühmlich. Und eine Ode an das freiheitliche Denken des Menschen wirkt auch in einem Film herrlich inspirierend. Doch mit einer derart gewichtigen Vorlage im Nacken kann man sich bei einer Romanverfilmung einfach nicht derartige Freiheiten nehmen und dieselbige so zerhackstückeln.
Michael B. Jordan ist eine coole Socke. Seine Präsenz und seine energetische Attitüde waren schon bei Black Panther eine der wenigen überzeugenden Aspekte (ja, ich fand den Film Grütze). In Fahrenheit 451 hat er zwar nur noch wenig mit der Vorlage gemein, aber er funktioniert als Vorzeige-Feuerwehrmann und zweifelnden Systemkonformist sehr gut. Leider wird er vom Drehbuch immer mehr in eine passive Rolle gezwängt, sodass er schlussendlich mehr reagiert als agiert.
Michael Shannon ist prädestiniert für wunderbar fiese Rollen. Das war in The Shape of Water so, das war in Man of Steel so, das ist auch hier so. Obwohl sich seine sinistere und sehr bekannte Rollenauswahl langsam abnutzt, bringt er doch genügend Energie in die Story. Zudem darf auch er in seinen zweifelnden Momenten mehr zeigen, als stereotypische Vorgesetzten-Allüren. Erwähnenswert ist auch Sofia Boutella (Kingsman), die ihre rebellische Figur in nur wenigen Szenen zu einem wunderbaren Gegenüber von Jordans Guy Montag verwandelt.
Hätte die TV-Produktion nicht so einen kiloschweren Klassiker zur Vorlage, so wäre ein durchgestyltes und mit einigen kritischen Tönen versehenes Drama herausgekommen. Dummerweise verpasst es Ramin Bahrani, die Fülle der Vorlage auch nur im Ansatz zu bedienen – weshalb er teils essenzielle Parts herausstreicht , um sich nur auf den Gedanken der Zensur zu konzentrieren. Auch, wenn das Werk optisch durchaus ansprechend und vernünftig in die Jetztzeit übertragen wird, reicht das für ein derart wichtiges Filmprojekt nicht aus. Zu viele Abstriche wurden gemacht, zu viele Freiheiten genommen, um den wirklichen Spirit der Vorlage originalgetreu zu transportieren. Da hilft auch kein Michael B. Jordan oder ein Michael Shannon – Fahrenheit 451 bleibt hinter den Erwartungen zurück.
Artikel vom 17. August 2018
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