Kritik: Matrjoschka – Staffel 2
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Nur noch zehn Tage, dann wird die Ketten rauchende, dauerfluchende Nadia (brillant: Natasha Lyonne) 40 Jahre alt. Doch mal wieder hat es das Schicksal auf sie abgesehen. Als sie in die U-Bahn Nummer 6 einsteigt, landet sie im Jahr 1982. Doch damit nicht genug: sie steckt auch noch im Körper ihrer Mutter, die gerade mit Nadia schwanger ist.
Nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, schreitet Nadia zur Tat. Indem sie immer wieder zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit hin- und herfährt, erhofft sie sich, das schwierige Leben ihrer Mutter (und damit auch von sich) zu verbessern. Doch kann sie wirklich ein Schicksal nachträglich verändern?
Matrjoschka – Staffel 1 gehört aus vielen Gründen zu einer der stärksten Serien auf Netflix. Obwohl die Prämisse an …und täglich grüßt das Murmeltier klammerte, machten sich Natasha Lyonne, Amy Poehler und Leslye Headland den Stoff zueigen. Die knackig-rasante Inszenierung, die blitzgescheiten Dialoge und ein blendendes Ensemble ließen schnell das Vorbild vergessen und auf das Herzstück der Serie fokussieren.
Staffel 2 muss nun andere Wege gehen, völlig klar. Der quasi Zurück in die Zukunft-Plot wird dabei ein wenig mit Dark vermengt und bevor man die Zutaten auseinander klauben kann, ist man schon viel zu tief in der Familientragödie drin, um sich noch groß mit Zeitreise-Paradoxons herumzuschlagen. Denn auch diesmal geht es nicht um die Art, wie die Geschichte erzählt wird, sondern was sie eigentlich erzählt. Und dabei wird eine Tiefe erreicht, die der ersten Staffel allemal das Wasser reichen kann. Reinvention? Geglückt!
Dass die Zeitsprünge diesmal nicht im Sekundentakt durch absurde Tode geschehen, sondern eben „nur“ mit einer Zugfahrt ins Unbekannte, nimmt Matrjoschka – Staffel 2 zu Beginn einiges an (erwartetem) Drive. So ist Nadia im Körper ihrer Mutter zwar ein schöner Schmunzler, aber das Konzept ist damit auch fast schon ausgenutzt. Selbst, wenn die Figuren später auch in den 60ern und 40ern herumstiefeln, bleibt der wiederholte Aha-Moment aus.
Ein Glück haben die Dialoge einmal mehr richtig Pfeffer. Was dem Plot zunächst an Energie fehlt, machen die aberwitzigen Wortwechsel zum Großteil wieder wett. Die absurden Bemerkungen, derben Beleidigungen und brillanten Erkenntnissen über Gott und die Welt sitzen von der ersten bis zur letzten Minute. Es sind die ausgefeilten Drehbücher, die dem Cast die Chance zum Glänzen geben.
„Legs are the bicycles on the ride of life.“
Nadia in Matrjoschka – Staffel 2
Wer den Energiebolzen Natasha Lyonne schon einmal über den Bildschirm hat rennen sehen, hat keinen Zweifel mehr am Können der Charakterschauspielerin. Lyonne spielt ihre Rolle mit einer unglaublichen Energie und bleibt das sympathisch-unsympathische Herzstück der Serie. Dieser Energie werden vor allem gemäßigte Gegenstücke zur Seite gestellt, was mit Charlie Barnett, Greta Lee und der fantastischen Elizabeth Ashley auch ganz wunderbar gelingt.
Diese Figuren braucht es auch. Denn Matrjoschka – Staffel 2 möchte erzählerisch ganz schön viel. Es braucht ein paar Folgen, um das Hauptthema aus dem Zeitreise-Plot zu meißeln, doch dann wird es fundamental: vererbte Traumata, Verantwortung für das eigene Leben, Schuld und Schulzuweisung und letztlich die Akzeptanz für die unfairen Tücken des Schicksals. Große Fragen, die im Hinblick auf die Serie eine weitere Frage aufwerfen:
Schon an der ersten Staffel ließe sich sicherlich kritisieren, dass die Grundthematik unter der amüsanten Prämisse manchmal etwas versteckt blieb. Gleichzeitig ist es auch herrlich erfrischend, wenn Drehbuchautor:innen uns ihre Botschaft nicht mit aller Gewalt vor den Latz hauen. In der zweiten Staffel wollen Lyonne & Co. allerdings sehr viel. Und überfrachten damit teilweise die ohnehin schon kurzen Folgen.
Wie oben beschrieben, wartet Matrjoschka – Staffel 2 mit einer unglaublichen Tiefe und teils heftigen Sujets auf. Aber verhaspelt sich etwas in der Darstellung eben der Themen, die diese Tiefe überhaupt eröffnen. Beginnend mit dem Verständnis der Entscheidungen der Mutter, über unfaire Schicksalsschläge deportierter Jüd:innen, bis hin zur Rückbesinnung auf die Menschen, die das eigene Leben stabilisieren. Es fühlt sich so an, als hätte jedes dieser Themen eine eigene Staffel gebraucht. Die Tiefe bleibt spür- und erlebbar, nur die Handlungsstruktur hinkt ein wenig hinterher.
Diese inhaltliche Überfrachtung fällt allerdings erst beim zweiten Mal Hinsehen auf. Denn an der „Oberfläche“ ist Matrjoschka nach wie vor ein Prunkstück zeitgemäßer Filmkunst. Kameraführung, Farben, Pacing, Timing der Agierenden, Effekte und inszenatorische Kreativität sind auf höchstem Niveau. Da fällt es nicht sonderlich schwer, auf den „Nächste Folge“-Button zu klicken. Denn die gehen trotz latenter Überforderung runter wie Öl.
Überhaupt ist es im Serien-Dschungel wahnsinnig erfrischend, wenn die Geschichte nicht aufgebläht über zu viele Episoden erzählt wird, wie es in der letzten Staffel von Ozark oder den unerträglichen Folge-Staffeln von Tote Mädchen Lügen nicht der Fall war. Ja, knackige Shows sind fast eine Rarität geworden und allein deshalb sticht das Netflix-Original hier heraus.
Matrjoschka – Staffel 2 muss sich mit seiner neuen Prämisse und (eigentlich) auserzählten Geschichte neu erfinden – und tut das mit Erfolg. Im Gewand von Zurück in die Zukunft beackert die Serie Themen wie Schicksalsschläge, Ungerechtigkeit, Verantwortung und Menschlichkeit. Das ist extrem unterhaltsam und optisch wie schauspielerisch auf exzellentem Niveau. Lediglich die überfrachtete Story sorgt dafür, dass die vielen sensiblen Themen oftmals nur angerissen oder nicht befriedigend auserzählt werden und so eher das Gefühl von Übersättigung auslösen. Mehr als Abzüge in der B-Note ist das allerdings nicht. Matrjoschka bleibt eine Perle und darf gerne in eine dritte Staffel gehen.
Artikel vom 15. Juli 2022
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