Kritik: Schneemann (2017)
FROSTBEULE FÜR FASSBENDER
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Als im winterlichen Norwegen mehrere Frauen vermisst gemeldet werden, nimmt Polizistin Katrine Bratt (Rebecca Ferguson: Life) die Fährte auf. Bald schließt sich ihr Polizeilegende Harry Hole (Michael Fassbender: Alien: Covenant, X-Men) an, der sich mit dem Fall von seinem Alkoholismus abzulenken hofft. Als die Beiden erkennen, dass an jedem Tatort ein Schneemann auf das Opfer wartet, ist es bereits zu spät: Die Ermittler werden selbst die Gejagten.
Schneemann ist der siebte Roman* der preisgekrönten Krimireihe von Autor Jo Nesbø. Im Mittelpunkt der insgesamt elf Romane steht Kommissar Harry Hole, der trotz seiner schweren Alkoholkrankheit der genialste Ermittler ist, den das Osloer Morddezernat je hatte. Seitdem ich den Roman vor einigen Jahren in Binge-Watch-Manier verschlang, warte ich sehnsüchtig auf eine Verfilmung. Schon klar, dass Buch–Film-Vergleiche unfair sind. Ein Roman hat alleine schon viel mehr Raum, eine Geschichte zu entfalten. Dennoch muss es einfach gesagt werden: Der Film wird dem Buch nicht gerecht. Dafür gibt es mehrere Gründe:
In erster Linie lässt der Film von Regisseur Tomas Alfredson Raffinesse vermissen. Dass das Drehbuch Köder auslegt, die das Publikum auf eine falsche Fährte locken sollen, ist ein entscheidendes Krimi-Stilelement – keine Frage. Dass diese Ablenkungsmanöver mit dem Fortschreiten des Films schlichtweg vergessen werden und damit unbeantwortet bleiben (Stichwort: Arve Stop), ist jedoch schlechtes Storytelling. Verlässt man das Kino, bleiben zu viele Fragen offen. Das ist besonders peinlich, da Starautor Nesbø in seinem Roman doch bereits hochkarätige Szenen liefert. Warum diese nicht übernehmen?
Noch komischer ist, dass die Trailer des Films eine andere Story zu erzählen scheinen. Insgesamt zähle ich allein in diesem Trailer 19 Einstellungen, die in der deutschen Kinofassung des Films schlichtweg nicht vorkommen. Besonders ein Telefonat zwischen Mörder und Ermittler ist offensichtlich dem Schnitt zum Opfer gefallen. Arghhh, warum nur? Genau das braucht der Film nämlich: Eine stärkere Verwicklung von Polizei, Mörder und Opfern.
Neben Story-Pannen fehlt es Schneemann aber auch an Spannung, durch die sich die Romanvorlage ganz besonders hervorhebt. So wird schon in der ersten Szene des Films klar, in welch eisigem Familienklima der Täter seine Kindheit verbringen musste. Sein daher rührendes Motiv ist so klar, wie ein Wintermorgen.
Zugegeben, auch der Roman deutet das Motiv bereits auf den ersten Seiten an. Doch ist in der Buchvorlage die Frage, wer der Mörder ist, deutlich einfallsreicher und vor allem vielschichtiger erzählt. Alfredsons Film hingegen ist des nagenden Psycho-Terrors des Buches beraubt, sodass wenig mehr als eine weichgespülte Hülle übrig bleibt. Zu einfach nehmen Morde und Ermittlungen ihren Verlauf. Richtig in die Quere kommen sich Protagonist und Antagonist erst im Showdown, der so schnell und unspektakulär abgehandelt wird, dass die Credits der eigentliche Schocker sind: „Wie jetzt, schon vorbei?“
Schneemann versammelt einen erstklassigen Cast. Charlotte Gainsbourg (Anti-Christ, Melancholia), J.K. Simmons (Whiplash, La La Land) und Michael Fassbender lassen ein fulminantes Kinoerlebnis erwarten. Während Simmons und Gainsbourg in den Nebenrollen überzeugen, fällt die Hauptbesetzung jedoch zurück. Rebecca Ferguson kratzt lediglich an der Oberfläche von Katrine Bratt, sodass deren persönliche Mission nur schwer nachzuvollziehen ist.
Gravierender ist jedoch die Besetzung von Michael Fassbender, der zuletzt als emotionsarmer Androide in Alien: Covenant zu sehen war. Die Besetzung des attraktiven Superstars mag als Kassenmagnet funktionieren, erfüllt aber nicht das Stellenprofil: Fassbenders Augen mögen noch so rot geschminkt sein, die Alkoholsucht Harry Holes aber auch dessen geniales Ermittlergespür spielt er wenig glaubwürdig. Oben drauf wirkt die nachlässig in die Mundwinkel geschobene Kippe wie ein Fremdkörper.
Besonders schlimm ist, dass Harry Holes emotionale Verwicklung in den Fall miserabel eingeführt wird. Seine Ex-Geliebte Rakel (Charlotte Gainsbourg) und deren Sohn Oleg (Michael Yates) bedeuten dem Harry Hole der Bücher alles – obwohl er durch seine Alkoholexzesse so unverlässlich ist. Der Film zeigt jedoch vor allem, wie oft er die Beiden versetzt, sodass das emotionale Momentum der Story vollkommen verschenkt wird.
Schneemann hätte groß werden können. Doch trotz einer hochkarätigen Besetzung und einem internationalen Bestseller als Vorlage, bleibt der Thriller von Tomas Anderson hinter den Erwartungen zurück und ist bestenfalls Durchschnitt. Neben schlechtem Storytelling, enttäuscht vor allem Michael Fassbender, der in der Hauptrolle nicht aufgeht. Bleibt nur noch zu hoffen, dass die herausgeschnittenen Szenen in der DVD-Version wieder auftauchen. Sollte das nicht der Fall sein, hat der Thriller mehr mit einem echten Schneemann gemeinsam, als ihm lieb sein dürfte: Beide sind saisonale Erscheinungen, – und schnell vergessen.
Artikel vom 20. Oktober 2017
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