Kritik: Tod auf dem Nil
Tod eines Remakes?
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Er kann es nicht lassen, der gute Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh, Belfast). Bei seiner Ägypten-Reise stolpert er erst über Kumpel Bouc (Tom Bateman), dann über eine geplagte Hochzeitsgesellschaft, deren dekadente Feierlichkeiten in Gefahr sind: Das frisch vermählte Brautpaar Linnet (Gal Gadot, Wonder Woman) und Simon (Armie Hammer, Call Me By Your Name) ist zwar schwer verliebt, doch Simons Ex-Geliebte Jacqueline (Emma Mackey, Sex Education) reist ihnen penetrant hinterher und vermiest deren Flitterwochen gehörig.
Selbst, als sich alle auf einen Nil-Dampfer flüchten, schafft es Jacqueline an Bord. Linnet, die um ihre Unversehrtheit fürchtet, wendet sich an Poirot. Es scheint, als seien auch einige bucklige Verwandte gefährlicher als angenommen. Poirot stimmt zu – doch den ersten Mord auf dem Schiff kann auch er nicht verhindern…
In meiner Kritik zu Mord im Orient-Express hatte ich einiges zu meckern: die unübersichtlich erzählte Geschichte, das nervige CGI, zu schnelle Dialoge ohne visuelle Gedächtnisstützen und eine stetig abflachende Spannungskurve. Das hat im Vorfeld die Lust auf Tod auf dem Nil ordentlich geschmälert. Zu allem Übel sind die ersten 40 Minuten des Films in jederlei Hinsicht ziemlich holprig geraten. Nach einem spannenden Prolog stolpert Poirot fast willkürlich durch ein paar Settings, ahnt natürlich die herannahende Katastrophe und findet sich dann eben auf besagtem Dampfer wieder. So weit, so konventionell.
Die auftretenden Figuren werden dabei rudimentär skizziert – leider so faul, wie nur denkbar: die Kamera zeigt brav alle relevanten Gesichter, während eine Nebenfigur kurz herunterrattert, um wen es sich handelt und in welcher angespannten Beziehung die Personen zum Brautpaar steht. Selbst diese plumpe Aufzählung wird im Film dann auch noch unterbrochen. Im Vergleich zum Vorgänger (der ähnlich rudimentär arbeitete, aber immerhin ein gewisses Timing im Auftakt bewies) ein wirklich schwacher Einstieg, der einen den Mord förmlich herbeisehnen lässt.
Gott sei Dank fängt sich Branaghs Inszenierung genau dann, wenn es ums Rätseln geht. Poirot befragt bissig alle Passagier:innen, kombiniert fleißig und bekommt dafür auch mehr oder weniger viel Zeit. Die eigenen grauen Zellen anzustrengen, gelingt hier – anders als in Mord im Orient-Express – zumindest ein Stück weit besser und sorgt damit für einen gewissen Payoff, den der Remake-Auftakt in seiner Hektik schmerzlich vermissen ließ. In Kombination mit der ohnehin twistreichen Story und solidem Soundtrack von Patrick Doyle kommt da in guten Momenten richtig Laune auf. Und zugegeben tut auch der höhere Bodycount sein Übriges!
Den knackig geschriebenen Verhörszenen zu folgen, fällt deshalb leichter, weil sich Branagh nun doch für Flashbacks entschieden hat. Auch aus dem stark limitierten Setting, das wir schon aus dem Orient-Express kennen, holt Branagh und Kameramann Haris Zambarloukos (dessen Kamera-Arbeit zwischen einfallsreich und seltsam hinkend wechselt) einige schöne Momente heraus. Dabei ist die Optik ansonsten eine ambivalente Angelegenheit…
In Mord im Orient-Express war das unausgegorene CGI wirklich ein Dorn im Auge. Leider sieht Tod auf dem Nil nochmal eine ganze Spur schlechter aus. Animierte Pyramiden, ein Hidalgo-Gedächtnis-Sandsturm, offensichtliche Greenscreen-Szenen und glattgebügelte Drohnenflüge sorgen gerade auf der großen Leinwand für ein distanziertes Sehvergnügen. Da sehne ich mir die handgemachte Optik der Verfilmung von 1978 mit Peter Ustinov in der Hauptrolle zurück.
Die CGI-Angelegenheit ist deshalb so frustrierend, weil das Ausstattungs- und Kostümdepartment wieder gute Arbeit geleistet hat. In den Innenräumen funktioniert der Film deshalb ordentlich, während die Außenaufnahmen immer wieder animierte Stöcke zwischen die Speichen jagen. Auch im zweiten Anlauf gelingt es dem Filmteam nicht, die beliebte Geschichte optisch mit modernen Mitteln stimmig zu erzählen.
Kenneth Branagh (Tenet, Dunkirk) lebt Hercule Poirot! Sein schnippischer, arroganter OCD-Detektiv ist in den weichen Momenten charismatisch, in den konfliktreichen Szenen wortgewaltig und aufbrausend. Und erneut schimmern zutiefst traurige Strahlen der Vergangenheit aus dem abgeklärten Routinier. Sie bleiben das emotionale Herzstück des Films, dessen Protagonist aufgrund des kleinen Biografie-Happens in der Eingangsszene noch verletzlicher und nachvollziehbarer wirkt. Allerdings wird durch diese Herangehensweise das Schicksal der meisten übrigen Passagier:innen denkbar egal.
„I am not wrong.“
Hercule Poirot in Tod auf dem Nil
Auch in Tod auf dem Nil lassen sich die Stars nicht lumpen: Gal Gadot spielt zwischen solide, verführerisch und unbeholfen; der schlagzeilenträchtige Armie Hammer wechselt mühelos von schmierig zu hochemotional. Auffallend gut sind Letitia Wright (Black Panther), Sophie Okonedo (Das Rad der Zeit) und Tom Bateman, während Emma Mackey oft einfach zu pissed ist und ihre Figur für meinen Geschmack zu nah an Maeve aus Sex Education anlegt. Russel Brand ist herrlich gegen den Strich besetzt, bekommt aber kaum was zu tun und fällt daher weder positiv noch negativ auf. Mal wieder zeigt sich: wenn die Figuren gut geschrieben sind, kann der Cast auch etwas daraus machen. Auch hier zeigt sich deutlich, dass nicht alle Gewerke stimmig ineinandergreifen.
Tod auf dem Nil schafft es, einige Schwächen aus dem Vorgänger auszumerzen – nur um sich dann neue Fehltritte zu leisten. Das Rätselraten ist deutlich ausgewogener erzählt, die Flashbacks erleichtern die Zuordnung der Figuren und die Spannungskurve steigt nach einem sehr holprigen Start an. Auf optischer Ebene lässt sich einiges loben (Ausstattung, Kulisse) und leider ebenso viel meckern (teilweise Kamera, miserables CGI). Kenneth Branagh spielt wie alle Schauspieler:innen, die eine ausgeklügelte Figur abbekommen haben, sehr gut, während etwa die Hälfte des Casts noch während des Schauens in Vergessenheit gerät. Der wendungsreiche Plot und die stimmige Auflösung entschädigen leider nur bedingt für all die Holprigkeiten. Auf einer Ebene mit Mord im Orient-Express, leider immer noch mit ordentlich Luft nach oben und der klare Verlierer gegen Ustinovs Tod auf dem Nil von 1978.
Artikel vom 12. Februar 2022
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